Am Anfang war der Weizen
Pasta Mancini

Culinary and Pleasure

Volle Kontrolle vom Feld bis auf den Teller: Der Hartweizen für die Pasta Mancini kommt aus eigenem Anbau in der ostitalienischen Region Marken – das ist einzigartig. Biss und Geschmack spielen in einer eigenen Liga. 

Massimo Mancini
Der Enkel des Unternehmensgründers hatte eine Vision für den Weizen der Familie

(Kulinarik)Zu einem Nest geschwungen, liegen sie auf dem Teller, in einem grünen Mantel aus Bärlauchcreme, von gefiederten Kerbelblättern und weißen Borretschblüten bedeckt: Spaghetti, wie der piemontesische Drei-Sterne-Koch Enrico Crippa sie sieht. Der Name des Pastaherstellers wird nicht verschwiegen: Mancini. Crippa ist nicht der einzige Italiener mit der Michelin-Höchstnote, der mit der Pasta aus der Region Le Marche, den Marken, kocht. Auch Drei-Sterne-Kollegen wie Niko Romito und Giovanni Santini setzen Linguine und andere Nudeln des Mancini Pastificio Agricolo auf ihre Menükarten. Und zwar ohne Kooperationsverträge, wie das oft üblich ist – Ware gegen Namensnennung, Werbung. Die Köche kaufen regulär bei Mancini.

Was macht diese Marke so besonders? Am Gaumen: der Biss und der Geschmack. Die Pasta von Mancini schmeckt nach dem, woraus sie besteht – nach Getreide. Was dahintersteckt: Mancini arbeitet ausschließlich mit Weizen aus eigenem Anbau. Vom Firmengebäude im Ort Monte San Pietrangeli aus hat man je nach Jahreszeit einen Teil der grünen oder blonden Felder, wie sie vom Wind gestreichelt werden, im Blick. Weizen und Pasta, Rohstoff und Endprodukt liegen hier so nahe beisammen wie sonst nirgends in der Welt der Hartweizenpasta. Werfen wir kurz einen Blick in die Weinbranche: Dass Winzer:innen ihre eigenen Rebstöcke haben, ist etwas ganz Normales. Winzerchampagner – im Gegensatz zu großen Champagnerhäusern, die ihr Traubenmaterial zukaufen – hat überhaupt einen besonderen Nimbus. Dass aber ein Pastahersteller vier Sorten eigenen Hartweizen anbaut, noch dazu auf eine enge Region begrenzt, mit einer Saatgutexpertin an Züchtungen arbeitet und die Körner dreimal pro Woche (!) frisch mahlen lässt, ist einzigartig. Mancini nennt sein Produkt daher „estate pasta“, nicht nur „artisanal pasta“. Mit letzterem Begriff werben viele, die zum Beispiel auf ihre Bronzematrizen verweisen (und bisweilen suggerieren sie mit übertrieben rauen Oberflächen eine besondere Hochwertigkeit, die sich aber am Gaumen als gehaltlos herausstellt – unter anderem, weil die Pasta viel zu schnell trocknet).

Für das Pastificio Mancini ist der Weizen, was für Winzer:innen ihre Trauben sind. Mit all den Vorteilen – man hat volle Kontrolle über seinen Rohstoff, angefangen beim Saatgut – und all den Herausforderungen. Die Weizenfelder bringen wie Weinberge unterschiedliche mikroklimatische Bedingungen mit sich, haben verschiedene Böden. Eine Hanglage muss man anders bestellen als eine Ebene, ein Nordhang erfordert eine andere Weizensorte als ein sonniger Südhang. Konsument:innen sind nicht geschult, das zu schmecken, aber diese Pasta hat naturgemäß auch Terroir. Und es gibt gute Jahrgänge wie auch schlechtere. Es ist bloß kaum jemand gewohnt, beim Thema Pasta über all diese Aspekte nachzudenken, während über Wein, Kaffee oder Olivenöl massenhaft gefachsimpelt wird. Hartweizenpasta ist gemeinhin ein günstiger Sattmacher. Ein mehr oder weniger anonymer Saucenträger in unterschiedlichen Formen, deren Wahl noch am ehesten für expertenhaften Gesprächsstoff dient. In den Augen der meisten Konsument:innen ist es auch erst die Sauce, die eine Pasta aufwertet und ein Pastagericht definiert. Der Weizen samt seiner Verarbeitung geht unter, dabei ist er es, der so vieles entscheidet. Hätten Konsument:innen dafür Verständnis, für Olivenöl in einem Jahr mit schlechtem Ertrag mehr zu zahlen? Wohl ja. Pasta bekommt diese Chance nicht. Pasta hat immer da zu sein, soll immer exakt dieselbe Kochzeit haben, immer gleich viel kosten.

Ein Besuch bei Pasta Mancini

Bei Mancini will man daher nicht zuletzt aus dem Jahrgangsgedanken heraus das Nachdenken über Pasta verändern. Der Großteil der Konkurrenz in der Pastawelt arbeitet völlig anders: Branchenriesen wie auch kleinere Hersteller beziehen ihren Weizen auch aus Kanada, den USA, wo Glyphosat im Einsatz ist, aus Australien. Bei Mancini liegen das Firmengebäude und die Weizenfelder in einem Umkreis von nur rund dreißig Kilometern, in den Provinzen Fermo und Macerata. Vor Problemen in der Lieferkette aufgrund von Sanktionen oder Kriegen ist Mancini gefeit, die Versorgungssicherheit kann lediglich von Unwettern beeinflusst werden (oder vielleicht durch einen Generalstreik sämtlicher Mähdrescherfahrer:innen). Die Versorgungssicherheit in Sachen Pasta war in Italien übrigens in den Anfängen des Ukraine-Kriegs plötzlich ein Thema, als man ob des fraglichen Weizennachschubs nervös wurde. Pasta war jedoch nicht betroffen, wird doch in der Ukraine hauptsächlich Weichweizen für Bäcker angebaut.

Weizen
Vier Hauptsorten an eigenem Weizen wachsen im Umkreis von rund 30 Kilometern

Die Geschichte von Pasta Mancini liest sich anders, als man angesichts des Rufs womöglich erwarten würde: Während ehrenwerte Mitbewerber:innen, wie etwa Dino Martelli aus der Toskana, den man bei Mancini sehr schätzt, auf Generationen von Pastamacher:innen verweisen, startete das Projekt Mancini Pastificio Agricolo im Jahr 2010. Zwar gibt es auch in dieser Firmengeschichte das Narrativ eines Großvaters samt Schwarz-Weiß-Porträt – aber am Anfang waren der Weizen und die Visionen eines in Marketing geschulten Agrarwissenschaftlers. 1938 legte Mariano Mancini als Weizenbauer den Grundstein; die Marken sind ideal für Hartweizenanbau, die Erde ist reich an Ton, der Wind zwischen Bergen und Meer sorgt für saubere Luft. Marianos Enkel Massimo, der heutige Firmenchef, studierte Agrarwissenschaften in Bologna und Marketing in Lyon und suchte, so die Kurzfassung, nach einer Aufwertung des familieneigenen Weizens. Er wollte das Getreide nicht länger anonym und mit dem Fokus auf möglichst viel Gewicht auf den Markt werfen. Massimo Mancini wollte es transformieren, wie er sagt. Mit dem Weizenanbau bewegt er sich weiterhin in den Fußstapfen seines Großvaters, den Markt erreicht der Weizen aber heute in aufgewerteter Form (und zu einem Vielfachen des Preises): als Hartweizenpasta in charakteristischen weiß-orangefarbenen Verpackungen, die so außerordentlich gut ist, dass sie in rund der Hälfte aller Drei-Sterne-Restaurants Italiens serviert wird.

Dieser Erfolg hindert Mancini nicht daran, weiterhin an der Optimierung der Pastaqualität zu arbeiten. Die renommierte Saatgutexpertin Oriana Porfiri tüftelt für Mancini an neuen Sorten, und zwar nicht im Labor mit weißem Kittel, sondern im Feld, wo sie (vereinfacht gesagt) den weiblichen Teil eines Hartweizenkorns mit dem männlichen eines anderen vereint – und wartet. Was erhofft man sich bei Mancini von neuen Weizensorten? Einerseits soll sich das Getreide noch konkreter auf die hiesigen Anbaubedingungen einstellen können. Andererseits möchte man das Weizenaroma immer prägnanter ausarbeiten sowie die Textur der Pasta weiter verbessern, den elastischen Widerstand, den sie dem Biss bietet.

Bis dato verarbeitet Mancini vier Sorten an Weizen: Maestà, früh reifend und von hohem Proteingehalt, Nazareno, von dem am meisten angebaut wird, Nonno Mariano, 2019 auf den hauseigenen Testfeldern entwickelt und nach dem Großvater benannt, und die besonders widerstandsfähige und ertragreiche Sorte Farrah.

Bei Mancini praktiziert man Fruchtwechsel: Der Weizen wechselt sich auf den Feldern in immer gleichem Rhythmus mit anderen Kulturpflanzen wie Klee, Saubohnen, Kichererbsen und Sonnenblumen ab. Dadurch erholt sich der Boden und wird auf natürliche Weise mit unterschiedlichen Nährstoffen versorgt – Weizen ist überaus stickstoffhungrig. Für Weizenanbau auf 800 Hektar braucht es also rund 1.600 Hektar Gesamtfläche, nachdem stets nur rund die Hälfte mit Weizen belegt ist; die anderen Felder im Mancini-Besitz strahlen je nach Fruchtfolge gerade gelb oder grün.

Mancini Pasta trocknet für
44 Stunden bei Temperaturen 
unter 55 Grad Celsius.

Zukünftigen Generationen den Boden so gesund wie möglich zu hinterlassen, ist Massimo Mancini ein großes Anliegen, fruchtbares Land gehört uns nicht, meint er. Geerntet wird im Juni und Juli, mit gemieteten Mähdreschern, für deren Manövrieren man schon einmal die Straße sperren muss. Direkt nach der Ernte speien diese Ungetüme ihre körnige Ladung aus langen Hälsen auf die zwischen Zypressen wartenden Transportfahrzeuge. Der zuständige Agrarwissenschaftler Paolo Mucci beobachtete das Schauspiel in diesem Jahr mit sehr zufriedenem Gesichtsausdruck, „sieben Tonnen pro Hektar, ein gutes Jahr, ein sehr gutes“. Die Weizenkörner werden zu einer Cuvée gemischt, die von Jahr zu Jahr je nach Ernte variiert, und in einer großen Halle bei 18 °C gelagert. Diese Temperatur macht es für Schimmel und Insekten ungemütlich, was den Einsatz von Chemikalien minimiert. Die Körner werden – der einzige Schritt, den man auslagert – mehrmals pro Woche gemahlen. In der Produktionshalle von Mancini kommt also stets frischer Hartweizengrieß zum Einsatz, was sich unverkennbar auf den Geschmack auswirkt.   

Der Aufwand, den das Pastificio Mancini rund um seinen Rohstoff betreibt, ist beachtlich. Genauso wichtig für die Qualität des Endergebnisses, der Pasta, ist aber, was sich in der Produktionshalle abspielt. Wie Massimo Mancini sagt: Eigener Weizen allein macht noch keine außerordentliche Pasta.

Das Gebäude aus Holz, Beton und Glas liegt inmitten eines der Weizenfelder. Der Eingangsbereich, hybrid zwischen dem Innen und dem Außen, rahmt den Ausblick auf die Felder auf architektonische Weise ein. Soeben wurde das Ensemble noch einmal um in die Erde eingebettete neue Lagerräume erweitert, der Erfolg machte es nötig. Für die Pastaherstellung stehen zwei Maschinen nebeneinander bereit, die vom Kneten des Hartweizengrießes mit Wasser über das Formen mit Bronzematrizen bis zum ersten Trocknen alles erledigen. Jede Maschine ist eine Art Miniproduktionsstraße, die je nach Tagesplan Nudelarten wie Spaghettoni und Capellini, die kurzen gerillten Tubetti oder Paccheri, groß und hohl, entlässt.

Von Lorenzo Settimi, bei Mancini für Marketing und Kommunikation zuständig, kommt dazu ein Mengenvergleich: Auf diesen beiden Maschinen erzeuge man in einem Jahr so viel wie Marktführer Barilla in all seinen Fertigungsstätten binnen acht Stunden schaffe.

Der Weizen betritt, wenn man so will, eine der beiden Maschinen von oben als feinster Grieß, semolina, und verlässt sie, vertikal abwärts, als Pasta, die ab dann waagrecht zum Trocknen weiterbefördert wird.

Ein Herzstück der Produktion:
die Bronzematrizen für die Pasta.

Als Magier dazwischen fungieren eine Knetvorrichtung, die den Hartweizengrieß mit Wasser vermählt, und Bronzematrizen, die durch Extrusion den Teig zu Pasta formen. Die Bronzematrizen, schwere runde Scheiben, warten in der nach Getreide duftenden, feuchten Halle auf Gestellen auf ihren Einsatz. Mit Filzstift ist in Großbuchstaben die jeweilige Pastaform darauf notiert – es sind verheißungsvolle Wörter wie Chitarrone, Bucatini, Linguine, Penne Lisce … Diese Bronzematrizen sind das eigentliche Herzstück der Fertigung. Bronze sorgt für eine rauere Oberfläche, die Pasta kann Saucen besser aufnehmen, im Gegensatz zu solcher, die durch Teflonmatrizen gejagt wurde. Je nach Produktionsplan werden die unterschiedlichen Matrizen in der Maschine eingespannt. Neue Formen in Auftrag zu geben, gehe immer mit einigem Diskussionsbedarf einher, erzählt Lorenzo Settimi. Etwa, wenn man eine an sich handelsübliche Schneckenform bestellt und der neapolitanische Bronzedreher erst einmal wissen will, ob man sich eine Löffelpasta oder eine Gabelpasta vorstelle, weil das die genaue Größe beeinflusse und überhaupt – und beim Wort „mittelgroß“ erst recht zu diskutieren anfängt.

Die Bronzematrizen wissen das dreidimensionale Denken von Besucher:innen zu fördern: Welche Pastaform ergibt die kleine Welle? Welche den reiskornartigen kurzen Strich, welche den winzigen Punkt, welche den außen gezackten großen Kreis? Fusilli, Linguine, Capellini und Paccheri sind nur einige der Formen, die Mancini im Angebot hat. Allen gemein ist eine besonders lange Trocknungsphase. (Einer Reihe frischer Spaghetti zuzusehen, wie sie im Ventilatorwind sachte schwingen, gehört übrigens zu den Erlebnissen der wohligen Art.)

Gute Pasta ist eine Mischung aus Tradition und Innovation, bei der jede Zutat eine Geschichte von Land und Leuten erzählt.

TOOLS
Jedes Detail zählt: Im Weizenanbau wie bei der Pasta-Herstellung

Während Pasta anderswo nach drei Stunden bei über hundert Grad fertig ist, gesteht das Pastificio Mancini seinen Nudeln bis zu 44 Stunden bei Temperaturen von unter 55 Grad zu. Denn man weiß: Eine lange Trocknungsphase ist, wie schon die Wahl der Weizensorten, essenziell für eine außergewöhnlich gute Pasta.

Spaghetti al
POMODORO

Massimo Mancini’s Lieblingsrezept: 
Extrem einfach und geschmackvoll.

 

 

(Zutaten)

500g Spaghetti
2 Gläser ganze rote Datteltomaten 
5 Teelöffel Extra Virgin Olivenöl
1 1/2 Teelöffel Meeressalz
3-4 Blätter frisches Basilikum
nach Belieben: frisch geriebener Parmesan

 

(I.)Die Tomaten zwischen den Fingern zerdrücken und in eine Kasserolle fallen lassen, den Tomatensaft und das Olivenöl unterrühren und mit sizilianischem Meersalz abschmecken.

(II.)Um die Nudeln zu kochen, einen großen Topf mit Wasser erhitzen. Wenn das Wasser kocht, eine Handvoll koscheres Salz hinzufügen, bis das Wasser salzig ist. Die Spaghetti hinzugeben und 11 Minuten lang kochen. Mit einer Schaumkelle die Nudeln in den Topf mit den Tomaten geben.

(III.)Eine halbe Tasse des Nudelwassers hinzufügen und alles bei mittlerer Hitze etwa 1 Minute lang durchschwenken. Dann die Spaghetti auf vier Schüsseln verteilen und mit etwas Olivenöl beträufelt und einem Zweig frischem Basilikum servieren. Wenn Sie möchten, reiben Sie etwas Parmesan darüber.

Text
Anna Burghardt
Fotografie
Stefan Fürtbauer
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