Fabrizio Casiraghi
Das Designen von Räumen
In Mailand aufgewachsen, nutzte Fabrizio Casiraghi alles, was er von dieser europäischen Designhauptstadt lernen konnte, um anschließend Paris zur Basis seines weltweiten Innenarchitekturbüros zu machen. Hier, in einer Stadt voller Inspiration und Talent, gestalten er und sein Team mit einem detailorientierten Ansatz luxuriöse Projekte mit einem authentischen Ortsgefühl.
(Interior Design)
Im Gespräch mit Maison Ë führt uns Casiraghi durch eine Designphilosophie, die Unvollkommenheit annimmt und in jedes Projekt eine komplexe Geschichtserzählung einfließen lässt.
Er erklärt, dass seine Faszination fürs Detail ursprünglich durch seine Zeit in der Villa Necchi Campiglio inspiriert wurde, einem Designwunder der 1930er Jahre in Mailand, das durch Luca Guadagninos Film „Ich bin die Liebe“ international bekannt wurde. Ein bisschen wie der berühmte italienische Filmregisseur sind Casiraghis Arbeiten mutig, poetisch und oft von geschmackvoller Sinnlichkeit durchzogen. Sein Beach-Club-Projekt für die französische Hotelgruppe Compagnie Hôtelière de Bagatelle in Mykonos beispielsweise bietet Besucher:innen augenblicklich eine Essenz von Eskapismus in eine vergangene Zeit, die an die französische Riviera erinnert. Die dunklen, lackierten Holzakzente und die hellen Farbtupfer, die sich durch das Dekor ziehen, sind von einem klassischen Riva-Boot inspiriert, allerdings von einem, das an einem Strand vorbeiflitzend fotografiert wurde, voll von geschmackvoll eingefärbten Schirmen, die Sonnenanbeter:innen wohltuend beschatten.
Casiraghi arbeitet normalerweise in ganz Europa, wobei jedes Projekt einzigartig für die jeweilige Umgebung gestaltet ist, sei es die behutsame Renovierung eines historischen Restaurants in Paris oder der Umbau einer gewöhnlichen viktorianischen Londoner Stadtvilla in ein Hotel, das Gäste in eine andere Welt entführt (mehr dazu später). Trotz seines raffinierten Gespürs bei der Organisation eines Raums und seiner umfassenden Wertschätzung für die Vintage-Stücke, die er oft für Projekte beschafft, behält er jedoch immer seine Mission im Auge – die Aufgabe so schön wie möglich zu erfüllen. „Wir sind keine Künstler:innen; wir arbeiten für Kund:innen und müssen das Richtige für sie kreieren.“
MAISON Ë Sie sind ursprünglich aus Mailand, aber nach Paris gezogen, um dort als Innenarchitekt zu arbeiten. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Fabrizio Casiraghi Während meines Studiums an der Polytechnischen Universität in Mailand besuchte ich mehrere Male Paris. Ich komme aus einer sehr frankophilen Familie. Wir alle lieben die französische Kultur, Musik, Kunst und alles, was mit Frankreich zu tun hat. Daher war es für mich logisch, nach meinem Studium nach Paris zu gehen; es war die Stadt, in der ich mein Studio eröffnete. Meine Liebe zur Inneneinrichtung begann jedoch in Mailand – durch meine ehrenamtliche Tätigkeit bei der italienischen Vereinigung, die sich um die Villa Necchi Campiglio kümmert.
M.Ë Villa Necchi ist ein architektonisches Juwel; viele Besucher:innen Mailands reisen dorthin, um sich die Gärten und die Innenräume anzusehen. Inwiefern hat es Sie inspiriert, in dem Gebäude zu arbeiten und es täglich aus der Nähe zu sehen?
F.C. Während ich bei der Spendensammlung und den Veranstaltungen half, verbrachte ich Stunden, Tage und Monate in dieser Villa und bewunderte jedes Detail – die Vorhänge, die Möbel, die Stoffe. Mir wurde klar, dass dies pure Schönheit war, und ich wollte Räume wie diese schaffen. Doch was ich durch die lange Zeit dort gelernt habe, ist, dass die Schönheit dieses Ortes nicht perfekt ist – es gibt mehrere Schichten. Die Besitzer:innen hatten im Laufe der Zeit bestimmte Dinge verändert. Es gab zum Beispiel ein Schlafzimmer, in dem die Prinzessin von Italien gewohnt hatte, und diese beiden Schwestern, denen die Villa gehört hatte, änderten das Konzept des ursprünglichen Designers Piero Portaluppi, weil es zu kalt und starr war. Sie machten es „italienischer“ und gemütlicher und veränderten den Charakter des Raums völlig. Wenn man sich das Haus genauer ansieht, sind da viele dieser Schichten, und das ist seine Schönheit – sie machen es irgendwie besser als das ursprüngliche, „perfekte“ lineare Design des Schöpfers dahinter. Ich versuche, diese Idee der verschiedenen Schichten und Unvollkommenheit in meine Arbeit einfließen zu lassen. Ich versuche, mit Leichtigkeit darüber nachzudenken, wie Menschen in einem Raum leben möchten, und wie er sich im Laufe der Zeit verändern wird.
M.ë Oft sind die schönsten Häuser diejenigen, die sich wirklich bewohnt anfühlen und die die Persönlichkeit ihrer Besitzer:innen widerspiegeln, selbst, wenn eine andere Person den ursprünglichen Raum gestaltet hat. Auf diese Weise übernehmen die Eigentümer:innen dieses Design. Aber wie gestalten Sie so ein Gefühl von Grund auf, wenn der Raum neu ist und dort noch niemand gewohnt hat?
F.C. Ich bin Innenarchitekt geworden, um Wohnhäuser wie die von Ihnen beschriebenen zu gestalten. Dabei gibt es zwei Optionen: Eine Möglichkeit besteht darin, im Schaffungsprozess Raum für kleine Unvollkommenheiten zu lassen – wenn die Farbe nicht genau das perfekte Finish der „Riva-Boot“-Lackierung hat, ist das in Ordnung. Wenn es Vintage-Möbel mit ein wenig Patina gibt, müssen Sie diese nicht reparieren, wenn sie noch funktionieren. Wenn Sie manuell an einem Design arbeiten, wie bei einem Mosaik, schleichen sich menschliche Unvollkommenheiten ein – was gut ist.
Die zweite Möglichkeit klingt offensichtlich, aber sie wird von Menschen in meiner Profession manchmal übersehen: den Klient:innen zuzuhören. Die Vision der Innenarchitekt:innen kann die Kundenbedürfnisse überlagern und das Design funktioniert dann nicht. Wenn ein:e Auftraggeber:in mir sagt, dass er/sie einen Tisch an einem bestimmten Ort braucht, weil er/sie genau dort jeden Morgen mit der Familie isst, dann werde ich das immer berücksichtigen. Das werde ich auch dann machen, wenn es vom „idealen“ Plan für den Raum abweicht. Ich will während eines Projekts herausfinden, wie die Kund:innen leben. Das schönste Gefühl ist es, ein von mir gestaltetes Zuhause ein paar Jahre nach seiner Fertigstellung zu besuchen und zu sehen, dass die Klient:innen es lieben genau so bewohnen, wie wir es zusammen geplant haben.
M.Ë Soweit ich weiß, haben Sie bei manchen Projekten Freude daran, sich Fantasiegeschichten über den Ort auszudenken, um ihm Charakter zu verleihen.
F.C. Bei diesen Projekten – normalerweise im Gastgewerbe – liebe ich es, Geschichten zu erfinden. Wenn man ein Wohnhaus baut, muss man keine Geschichte erfinden, weil es bereits Bewohner:innen mit ihren eigenen Geschichten gibt. Im Gastgewerbe kann man jedoch kreativer über das Leben der anonymen Menschen nachdenken, die im Laufe der Zeit durch das Gebäude kommen. Ich denke mir Ideen über Kund:innen und Eigentümer:innen aus – zum Beispiel war meine Geschichte zum Grand Hotel Bellevue in London, dass das Gebäude eine Stadtvilla war, die einem englischen Paar gehörte. Der Herr ist der typisch elegante, zurückhaltende Aristokrat – diskret und klassisch in seinem Geschmack; das sieht man an der Holzverkleidung und anderen konventionell geschmackvollen Elementen. Seine Frau hingegen ist eher der Typ „merkwürdige englische Cousine“. Sie ist ein bisschen künstlerisch; sie hat die Welt bereist und ist mit einem ungewöhnlichen Wandteppich zurückgekehrt, der jetzt in der Bar hängt, bestickt mit Elefantendarstellungen; sie hat die Badezimmerfliesen in intensiven, kräftigen, etwas seltsamen Farben ausgewählt. Die daraus resultierende Einrichtung gibt das Gefühl zweier Persönlichkeiten, was die Designkombination erfrischend macht – ein Aufeinandertreffen von traditionell und exzentrisch.
Kund:innen schätzen diesen Zugang, vor allem, wenn es um einen Raum ohne Geschichte geht. Wenn ich das Ritz in Paris umgestalten würde, gäbe es natürlich bereits eine Geschichte und ein Erbe. Aber wenn es ein Gebäude wie das Grand Hotel Bellevue ist, das keine reiche Hintergrundgeschichte hat, muss ich etwas erfinden, das zwischen diesen Wänden passiert ist. Das hilft den Klient:innen dabei, sich in das Geschäft hineinzuversetzen und sich mehr für das Projekt zu begeistern.
„Ich versuche, mit Leichtigkeit darüber nachzudenken, wie Menschen in einem Raum leben möchten, und wie er sich im Laufe der Zeit verändern wird.”
M.Ë Sie arbeiten oft in einem luxuriösen Kontext, in Restaurants oder Hotels, die Besucher:innen das Gefühl eines besonderen Anlasses geben, und doch wirken die von Ihnen gestalteten Orte bodenständig – wie erreichen Sie das?
F.C. Wenn Kund:innen einen hohen Preis für ein Erlebnis zahlen, müssen sie das Gefühl haben, für Qualität zu bezahlen. Aber man muss bei der Gestaltung eines Raums ein wenig demokratisch vorgehen und verstehen, was Qualität für verschiedene Menschen bedeutet. Für eine Person, die ein Restaurant wie das 1880 eröffnete Restaurant Drouant besucht, das wir in Paris neugestaltet haben, kann es sein, dass sie sich in eine andere Zeit und an einen anderen Ort versetzt fühlt und das Erbe spürt. Andere Kund:innen sind vielleicht an hochwertigem Essen und Wein interessiert, also müssen wir überlegen, wie diese präsentiert werden. Luxus kann in dieser Hinsicht demokratisch sein, aber es geht wirklich darum, das Beste in allem zu verkörpern – im Erlebnis, im Essen, in der Musik und im Design.
„Das schönste Gefühl ist es, ein von mir gestaltetes Zuhause ein paar Jahre nach seiner Fertigstellung zu besuchen und zu sehen, dass die Klient:innen es lieben genau so bewohnen, wie wir es zusammen geplant haben.”