Möbel, die Geschichten erzählen

Art and Design

Wenn Design als Ausdruck des Lebens gesehen wird und wie Möbel-Klassiker neu gedacht werden. Anthony Vaccarello etwa, erweckt die verschollenen Möbelentwürfe von Charlotte Perriand zum Leben, während Cassina und Formafantasma die Klassiker von Le Corbusier neu interpretieren. Bei ETEL verschmelzen Oscar Niemeyers visionäre Architektur und Claudia Moreira Salles’ handwerkliche Eleganz zu einem Dialog der Formen.

Yves Saint Laurent
UND
Charlotte Perriand

Conversation 1

Anthony Vaccarello, Kreativdirektor von Saint Laurent, präsentierte Arbeiten von Charlotte Perriand, die die Essenz ihrer rationalistischen Vision anhand von vier bisher nicht gezeigten Möbelstücken aus den Jahren 1934 bis 1967 eingefangen hat. Diese Entwürfe, die bisher nur als konzeptionelle Skizzen oder Prototypen existierten, wurden erstmals zum Leben erweckt und markieren eine sensible und tiefgreifende Wiederentdeckung. Diese Initiative unterstreicht das kontinuierliche Engagement von Saint Laurent, visionäre weibliche Designpersönlichkeiten zu ehren, Perriands vergessene Kreationen wiederzuentdecken und sie als kulturelle Meilensteine von bleibender Bedeutung zu würdigen.

Charlotte Perriand (1903–1999) gilt nach wie vor als eine der wichtigsten Vertreterinnen des Designs und der Architektur des 20. Jahrhunderts. Ihr Ansatz verbindet die intellektuelle Klarheit des Modernismus mit einem zutiefst humanistischen Verständnis von Raum, Ästhetik und sozialem Wandel. Die Entwürfe wurde von Saint Laurent mit akribischer Genauigkeit in lebensgroßer, limitierter Auflage neu aufgelegt. Yves Saint Laurent selbst war ein begeisterter Bewunderer und lebenslanger Sammler von Perriands Werken.

Zu den wichtigsten Stücken gehört die Banquette de l’Ambassadeur du Japon (1967), ein monumentales fünfsitziges Sofa, das ursprünglich für die japanische Botschaft in Paris entworfen wurde. Sein sieben Meter langer Sockel ist an beiden Enden sanft geschwungen und erweckt den Eindruck, im Raum zu schweben. Brasilianisches Rosenholz und geflochtenes Rattan – Markenzeichen von Perriands sensibler Materialpalette – unterstreichen die subtile Spannung zwischen Eleganz und Funktion.

Die Bibliothèque Rio de Janeiro (1962) aus Rosenholz mit rattanverkleideten Schiebetüren wurde für das brasilianische Haus von Jacques Martin, Perriands zweitem Ehemann, entworfen. Die Transparenz und die Textur der Türen erinnern an die Schattenspiele traditioneller südamerikanischer Architektur. Der Table Mille-Feuilles (1963) ist ein kreisförmiger Tisch aus zehn sich abwechselnden Schichten aus hellem und dunklem Holz, dessen Oberfläche zu konzentrischen Ringen geformt ist – ein sowohl visuell hypnotisches als auch technisch komplexes Design, das nun endlich in vollem Maßstab realisiert wurde.

„Perriand war stets der Überzeugung, dass Design im Wesentlichen „ein Ausdruck des Lebens“ ist.“

Auch der Fauteuil Visiteur Indochine (1943), den Perriand während ihrer Zeit in Vietnam entworfen hat, taucht wieder aus der Geschichte auf. Das Original dieses eleganten Stuhls ging verloren und es blieb nur eine einzige Skizze zurück. Heute wurde er aus Stahlrohren, Rosenholz und mit einem traditionellen thailändischen Kissen rekonstruiert – eine Hommage an die Mischung aus handwerklichem Können und kultureller Sensibilität, die das spätere Werk der französischen Designerin prägte.

1940 übersiedelte Perriand als offizielle Beraterin der Regierung nach Japan. Bei Ausbruch des Krieges flüchtete sie nach Vietnam, wo sie die lokalen Handwerkstraditionen kennenlernte, die später zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer ästhetischen Sprache werden sollten. Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich brachte sie ein Gespür für Design mit, das im Geiste modernistisch blieb, aber in der Wärme und Taktilität natürlicher Materialien verwurzelt war. Perriands Werk bietet einen privilegierten Blick auf eine Philosophie, in der jedes Objekt ein Spiegelbild unseres Lebens ist. Diese Stücke sind mehr als nur Einrichtungsgegenstände – sie sind Ausdruck einer Weltanschauung und verkörpern Perriands dauerhafte Überzeugung, dass Design im Grunde genommen „ein Ausdruck des Lebens“ ist.

Cassina
UND
Formafantasma

Conversation 2

Ausstellung, Installation, Performance, Theater, Immersion, Möbel. Schlagworte, die nicht ausreichen – vor allem nicht für diejenigen, die Wert auf Prägnanz legen –, um die von Cassina in Zusammenarbeit mit Formafantasma geschaffene Inszenierung zu erfassen.

Staging Modernity ist eine performative Komposition, die das 60-jährige Erbe der Le Corbusier-Kollektion der ikonischen und zukunftsweisenden italienischen Marke reflektiert. Die 1965 in Zusammenarbeit mit Charlotte Perriand und Pierre Jeanneret lancierte Kollektion ist nach wie vor ein Eckpfeiler des modernen Designs und wird hier durch eine erfahrungsorientierte, poetische Linse neu interpretiert.

ETEL MIT
Oscar Niemeyer
UND
Claudia Moreira
Salles

Conversation 3

Diese Kollektion ist wie ein Duett konzipiert – auf der einen Seite die architektonische Kraft und Plastizität des brasilianischen Architekten und Visionärs Oscar Niemeyer, auf der anderen Seite die ruhige, handwerkliche Eleganz der Industriedesignerin Claudia Moreira Salles.

Niemeyer ist der Ausgangspunkt. Seine Gesten – fließend, kontinuierlich, unverwechselbar – ziehen eine Linie durch die Geschichte der modernen Architektur. Im Mittelpunkt steht die Wiederentdeckung von dreizehn italienischen Projekten Niemeyers, eine Reise durch verwirklichte und nicht verwirklichte Visionen, vom realisierten Mondadori-Hauptquartier in Segrate (1970) bis zu unausgeführten Wundern wie dem FATA-Kongresszentrum (1976), dem wie ein Raumschiff schwebenden Burgo-Turm in San Mauro Torinese (1978) und einem Entwurf für den Ersatz des Teatro Verdi in Venetien.

Oscar Niemeyer, der während der brasilianischen Militärdiktatur in Paris im Exil lebte, fand in Europa ein neues, ausdrucksstarkes Terrain. Dort entwarf er 1972 den Poltrona Alta aus Stahl und Leder für das Hauptquartier der Kommunistischen Partei Frankreichs – ein Stuhl, der ebenso ein politisches Statement wie ein Designobjekt ist. Weitere Highlights sind die Chaise Longue Rio, die vom japanischen Minimalismus inspirierte Marchesa Bench und die Ausstattung des Palácio da Alvorada und des Palácio do Planalto in Brasília. Diese Stadt ist natürlich der Inbegriff einer verwirklichten Utopie – Brasília, aus dem Nichts erdacht und in nur fünf Jahren erbaut, ist vielleicht Niemeyers stärkstes Denkmal für den Glauben, dass Architektur die Gesellschaft prägen kann. Es ist ein Akt des Glaubens an den Raum, an den Fortschritt und an das kollektive Schicksal.

Seit mehr als fünfzehn Jahren ist ETEL Bewahrer und Hersteller von Niemeyers Möbeln und hält dabei an handwerklichen Methoden fest, die der Massenproduktion widerstehen und die Integrität jedes einzelnen Stücks wahren. Dieser Ansatz – akribisch, originalgetreu, menschlich – verleiht den Werken ihre lebendige Seele.

In dieser Landschaft des formalen Ausdrucks erklingt die Stimme von Claudia Moreira Salles nicht als Gegensatz, sondern als Resonanz. Als Meisterin des Holzes und der Materie entstehen ihre Werke – wie die Banco Moiré (2005), die Pétala-Lampe (1998) oder die Tríptico-Tische – aus einem meditativen Prozess, in dem Geometrie auf Verletzlichkeit trifft und die menschliche Hand allgegenwärtig bleibt. Ihre Werke stellen Niemeyers Werke nicht infrage, sondern stehen mit ihnen im Dialog. Ein unsichtbarer Faden verbindet die beiden, gewoben aus Spannung und Entspannung, Präsenz und Leere. Beide Designer:innen gestalten Stille, selbst wenn sie mit Metall und Stein arbeiten. Beide sehen in der Form eine Art des Denkens.

Text
Claudio Morelli
Fotografie
Claudio Morelli

Ruy Teixeira

Omar Sartor

Courtesy of Saint Laurent
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