Sea Cloud
Zeitreise unter weißen Segeln
Die Sea Cloud, einst die größte Segelyacht der Welt, begeistert ihre Liebhaber:innen und Segler:innen auf Lebenszeit. Seit 1931 befährt das majestätische Schiff die Weltmeere – ein anmutiger Riese mit Seele, geschmiedet in Wind und Salz. Sie trägt nicht nur Segel, sondern auch Geschichten mit sich. Jede Reise an Bord der Sea Cloud fühlt sich an, wie ein lebendiges Gedicht, in dem sich Geschichte und Herz unter wehenden Segeln und endlosem Himmel begegnen.
(Yachting) Während das historische 110 Meter lange Segelschiff Sea Cloud im Mittelmeer zwischen Palermo und Cagliari unter vollen Segeln vorwärtsgleitet, klettere ich immer höher und höher die Sprossen des Riggs hinauf und versuche, nicht nach unten zu schauen. Schwankt es leicht, oder bilde ich mir das nur ein? Direkt unter mir steht ein Profi bereit, um mir zu helfen, falls ich eine helfende Hand brauche. Trotzdem ist es unmöglich, den Knoten in meinem Magen zu ignorieren. Hier oben kann ich nicht mal eben eine Hand vom Rigg nehmen, um mir die verschwitzten Hände abzuwischen. Meine Gedanken beginnen zu schweifen. Ich bin mit einem Sicherheitsgurt ausgestattet, frage mich aber, ob ich nicht doch lieber Deckschuhe hätte tragen sollen.
Mit jedem Schritt nach oben werde ich nervöser. Als ich eine Plattform in 14 m Höhe erreiche, halte ich kurz inne, um meinen Mut zu sammeln. Unter den aufmunternden Worten des Riggers klettere ich über die Plattform und beginne, auf der anderen Seite abzusteigen. Triumphierend setze ich wieder Fuß auf das Teakdeck.
Dies ist nur ein winziger Vorgeschmack auf die straffe Choreografie, die die 18 professionellen Mitglieder der Sea Cloud -Crew wie Emilie und Camilla täglich ausführen müssen. Wie Akrobat:innen erklimmen sie den Mast erst vertikal, dann horizontal und rollen die Segel langsam von Hand aus. Sind alle 29 Segel gesetzt und breiten sich über etwa 3.000 Quadratmeter aus, bietet das Schiff einen prachtvollen Anblick. Wenn die Motoren ausgeschaltet sind, hört man nur noch das Geräusch der Wellen, die gegen den Rumpf schlagen.
Die in Dänemark geborene Emilie, die eine Ausbildung bei der Marine absolviert hat, ist bereits zum zweiten Mal auf der Sea Cloud im Dienst. „Ich mag es sehr, wie es sich im Wind bewegt. Man kann jede Bewegung des Schiffes spüren“, sagt sie. „Außerdem macht mir die körperliche Arbeit sehr viel Spaß.”
Höhen waren noch nie meine Stärke. Bergsteigen interessiert mich nicht, aber wenn ich auf einem Boot sitze, oder auf irgendetwas, das schwimmt, fühle ich mich zu Hause. Ich bin überzeugt, dass dieses Gefühl von meinen Vorfahren herrührt. Meine Familie stammt von der kleinen, abgelegenen Insel Agios Efstratios in der nordöstlichen Ägäis Griechenlands.
Im Jahr 2017 habe ich meinen Segelschein gemacht und seitdem nicht mehr aufgehört zu segeln. Von Regatta-Rennen auf Hochleistungsyachten im Mittelmeer und in der Karibik bis hin zu Törns auf einem Katamaran vor den Seychellen – auf einem Boot zu sein, fühlt sich für mich wie ein natürlicher Zustand an.
Eine große Liebesbeziehung mit dem Wind
Als sich die Gelegenheit ergab, an Bord der Sea Cloud zu gehen, einem Windjammer mit einer faszinierenden Geschichte, konnte ich nicht ablehnen. Der Wall-Street-Broker Edward Francis Hutton und seine Frau Marjorie Merriweather Post, Erbin des General Foods-Konzerns, gaben die damals größte private Segelyacht der Welt in Auftrag. Der 1931 in Kiel gebaute Viermaster trug zunächst den Namen Hussar V. Post war für die Innenausstattung verantwortlich und stattete die sechs luxuriösen Suiten des Schiffes mit französischen Antiquitäten, goldenen Wasserhähnen in Schwanenform und anmutigen Nachttischen aus. Von der stattlichen Kieferholz-Lounge mit Kronleuchter und einem Kamin aus Carrara-Marmor führen heute kunstvolle, handgeschnitzte Holzbalustraden unter Deck zu den VIP-Quartieren. Posts riesige, märchenhafte, ganz in Weiß gehaltene Suite im Stil Ludwigs XVI. wurde sorgfältig erhalten. Nebenan sieht Huttons dunkles Quartier aus Kiefernholz mit einer tiefroten Bettdecke eher wie eine opulente Hütte am See aus.
Gemeinsam mit ihrer Tochter Nedenia unternahm das Paar Reisen zu weit entfernten Zielen wie den Galapagosinseln. Doch ihre idyllische Ehe ging schnell in die Brüche, da Hutton untreu war. Das Paar ließ sich 1935 scheiden und Post heiratete erneut, diesmal den Anwalt Joseph E. Davies. Sie behielt die Yacht und benannte sie in Sea Cloud um. Im Zweiten Weltkrieg diente das Schiff der US-Küstenwache als schwimmende Wetterstation, die für die Summe von einem Dollar gechartert wurde. Der Rumpf wurde grau gestrichen, und die Masten, die goldene Adler-Galionsfigur und der Bugspriet wurden entfernt. Nach dem Krieg holten die beiden das Schiff zurück und restaurierten es. Als jedoch auch diese Ehe in die Brüche ging, war Post gezwungen, ihre geliebte Sea Cloud zu verkaufen. Die Yacht ging durch verschiedene Hände, darunter waren ein dominikanischer Diktator und sein Playboy-Sohn, bis sie schließlich jahrelang in Panama vor sich hin dümpelte.
Ein Schiff für Segler
Der deutsche Kapitän Hartmut Paschburg entdeckte das Schiff, erwarb es zusammen mit einer Gruppe Hamburger Investor:innen und machte es in monatelanger Arbeit seetüchtig für die Atlantiküberquerung. Im Jahr 1978 erreichte die Sea Cloud Hamburg. Das Schiff kehrte an seinen Geburtsort Kiel zurück, wurde restauriert und stach in See, diesmal als Kreuzfahrtschiff.
Seitdem befährt die Sea Cloud die Gewässer des Mittelmeers und der Karibik sowie weiter entfernte Gefilde, zieht eine vielseitige Klientel an und beherbergt 64 Gäste in 32 Kabinen. Viele kehren immer wieder zurück, um sich in ihrem riesigen, strahlend weißen Rumpf einzunisten, einige bevorzugen die engen Offizierskabinen. Einige, wie Martha Pohl und ihr Ehemann Werner Scholz, die bereits elf Mal auf der Sea Cloud gesegelt sind, sind Liebhaber:innen der maritimen Geschichte. Viele sind seit jeher Segler:innen. Sicher ist, dass die Sea Cloud ein Schiff für Segler ist.
Im stimmungsvollen, mit dunkler Eiche getäfelten Speisesaal erzählt mir der 89-jährige Jürgen Schroeder, dass er nach seiner Pensionierung mit seinem 43-Fuß-Segelboot rund 50.000 Seemeilen im Mittelmeer und Schwarzen Meer zurückgelegt hat.
„Die Ägäis ist mein Lieblingssegelrevier, weil es dort viele Inseln mit einer reichen Kultur und Geschichte gibt“, sagt er. Zwei Jahrzehnte zuvor machte er mit seiner Frau, die er kürzlich verloren hat, Urlaub auf der Sea Cloud; jetzt ist er zurückgekehrt, „um ein letztes Mal zu segeln.“ Trotz seiner eingeschränkten Mobilität navigiert Schroeder, der eine griechische Fischermütze trägt, mit seinem Gehstock problemlos über die fast senkrechten Treppen, die die Decks verbindet.
„Es gibt nicht mehr viele Segelboote wie dieses. Ich wollte sehen, wie die Segel gesetzt werden. Diese Jungs [die Crew] sind sehr schnell“, sagt er.
Für Greg Stach und seine Frau Josselyn Robertson ist es das erste Mal, dass sie auf der Sea Cloud segeln. Sie leben in San Rafael, Kalifornien, und sind Mitglieder des St. Francis Yacht Club. „Sie ist eine sehr erfolgreiche Regattaseglerin in der Bay Area von San Francisco“, sagt Stach über seine Frau. Die Ästhetik der Alten Welt hat sie zur Sea Cloud hingezogen.
„Das ist ein echtes Schiff. Es ist etwas, das tatsächlich existiert hat. Es wurde nicht gebaut, um Geld zu verdienen. Als Besitzer eines Holzbootes wissen wir die Holzarbeiten wirklich zu schätzen … Es wurde von Hand gefertigt, von jemandem, der sich um seine Arbeit kümmerte und stolz auf sie war“, so Stach.
Die hautnahe Erfahrung ist das, was viele genießen, vom Klettern auf den Bugspriet, während das Schiff unter Segeln ist, von wo aus sie das wogende Segeltuch bewundern können, bis zum Einholen der schweren Dacron-Segel.
Lebenslange Bindungen
Nicht nur die Gäste haben eine besondere Verbindung zu dem Schiff; einige Besatzungsmitglieder arbeiten seit Jahrzehnten an Bord der Sea Cloud. Roger Roldan ist seit 39 Jahren als Maitre d’Hotel tätig, während Barkeeper Avelino Saltarin seit 42 Jahren auf dem Schiff arbeitet.
“Für mich ist die Sea Cloud mein Zuhause. Jedes Mal, wenn ich in meine Heimat zurückkehre, denke ich an die Sea Cloud … mein Geist ist also immer hier.”
„Wir sind wirklich antik“, sagt Roldan und bricht in ein ansteckendes Lachen aus, „aber es macht uns sehr viel Spaß.“ Was ihn motiviert, ist die Möglichkeit, Menschen aus der ganzen Welt kennenzulernen. Roldan nennt die Karibik als sein Lieblingsreiseziel, insbesondere Antigua und St. Lucia. „Wenn wir dort die Segel setzen, haben wir immer Passatwinde, und das bedeutet viel Segeln“, sagt er. Auf die Frage, was das Schiff für ihn bedeutet, antwortet Roldan: „Für mich ist die Sea Cloud mein Zuhause. Jedes Mal, wenn ich nach Manila zurückkehre, denke ich an die Sea Cloud … mein Geist ist also immer hier.“ 2025 läuft sein Vertrag auf dem Schiff aus. „Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn ich nicht mehr arbeite“, gesteht er.
Kapitän Pavel Starostin ist zwar erst seit kurzem dabei, aber auch er hat eine starke Bindung zur Sea Cloud entwickelt. Er begann seine Karriere auf Frachtschiffen, Containerschiffen und wissenschaftlichen Forschungsschiffen, bis er an Bord des vollgetakelten Segelschulschiffs Pallada ging, das von einem legendären russischen Kapitän gesteuert wurde. „Danach habe ich beschlossen, bei der Segelschifffahrt zu bleiben“, erzählt er Maison Ë. Auf die Frage, was er am Segeln am meisten liebt, sagt Starostin: „Es ist faszinierend, mit dem Wind zu spielen, das Schiff nur mit den Segeln zu manövrieren.“ „Ich liebe die altmodischen deutschen Großsegler … Die Deutschen wissen, wie man einen Großsegler richtig baut, und wenn ein deutscher Großsegler für das Segeln ausgelegt ist, wird er 100 Jahre lang fahren.“
Starostin ist der Meinung, dass die Sea Cloud ihr hundertjähriges Bestehen problemlos meistern wird. „Sie ist in gutem Zustand. Sie segelt bei 15 Knoten Wind mit einem vollen Satz Segel und läuft mit fünf oder sechs Knoten“, sagt er. Auf die Frage nach seiner größten Herausforderung antwortet der Kapitän, dass er als Segler nie Angst davor hatte, den Mast zu besteigen. „Wenn man für Menschen verantwortlich ist und ihnen jeden Tag beim Klettern zusieht, ist das jedoch ein ganz anderes Gefühl“, sagt Starostin, der überall gleichzeitig zu sein scheint und seine Crew mit Adleraugen im Blick behält. Auch das Anlegen kann stressig sein, gibt er zu, denn das Schiff hat keine Bugstrahlruder. Stattdessen werden Schlepper benötigt, um die Sea Cloud in jedem Hafen in Position zu manövrieren.
Besonders beeindruckend an dem Schiff, das eine Höchstgeschwindigkeit von 14 Knoten erreicht, ist die Leichtigkeit, mit der es segelt. Da es keine Stabilisatoren gibt, werden Wasser- und Treibstoffballast verwendet, um die Sea Cloud auf Kurs zu halten. „So wie sie konstruiert wurde, mit den scharfen Formen einer Segelyacht, ist sie das beste Großsegelschiff, auf dem ich je gesegelt bin, was die Stabilität angeht“, sagt Starostin.
Bei guten Wind- und Wetterbedingungen nutzt er die Gelegenheit, die Segel zu setzen. Die Segel von Schiffen wie der Sea Cloud halten zwar bis zu zehn Jahre, aber eine einzige Sturmböe kann viele Schäden verursachen. „Wir versuchen, den Passagier:innen das Leben an Bord zu zeigen … Wir versuchen, sie so weit wie möglich einzubeziehen. Es ist eine Menge Arbeit nötig, um das Schiff auf dem neuesten Stand zu halten“, so Starostin. Auf die Frage nach seinen bevorzugten Segelrevieren scherzt Starostin: „Die Orte, an denen ich noch nie war. Es ist immer gut, etwas Neues zu sehen.“ Auf dem Weg zum Maschinenraum erfahre ich, dass das Schiff mit seinen zwei Dieselmotoren von dort aus manövriert wird, wobei die Befehle per Telegraf übermittelt werden. Die meisten Teile stammen noch aus dem Jahr 1931.
Die Sea Cloud
auf einen Blick
Charter-Informationen
Die Sea Cloud wird im Oktober 2025 einer größeren Überholung unterzogen, um ihrem ursprünglichen Charakter als Privatyacht wieder näher zu kommen. Ab 2027 wird sie hauptsächlich für private Charter:innen zur Verfügung stehen. Für Buchungsanfragen und Verfügbarkeit besuchen Sie bitte www.seacloud.com oder wenden Sie sich direkt an Sea Cloud Cruises.
Ein neues Kapitel
Noch in diesem Jahr wird das elegante Schiff ein neues Kapitel aufschlagen. Die Sea Cloud wird im Oktober in die Werft gehen, um dort umfassend renoviert und in ihren ursprünglichen Zustand als Privatyacht zurückversetzt zu werden. Die in den 70er-Jahren hinzugefügten Kabinen werden entfernt, und die Gästekapazität wird um etwa die Hälfte reduziert, wodurch das Schiff noch exklusiver wird. Vorläufig soll es ab 2027 vor allem für private Charterfahrten zur Verfügung stehen. Sicher ist, dass die unbändige Sea Cloud ein Herz und eine Seele hat und besser denn je auf hohe See zurückkehren wird.