Einer von sechs

Art and Design

Für diejenigen, die keine Autofans sind, ist es schwer vorstellbar, dass ein Porsche-Design nicht als Klassiker gelten könnte. Wer sich jedoch eingehend mit den weltweiten Online-Foren und Communities der Ultrafans befasst, wird überrascht sein, wie unterschiedlich die Ansichten dieser in Deutschland hergestellten Fahrzeuge unter Purist:innen sein können.

(Traumauto) Ein Beispiel dafür ist der Porsche 911 Flatnose (Flachbau), der Anfang der 1980er Jahre auf den Markt kam, zu einer Zeit, als Porsche gerade ein wenig von seinen italienischen Cousins ​​Lamborghini und Ferrari herausgefordert wurde. „Die klassischen Porsche-Scheinwerfer verliehen dem Auto schon immer ein freundliches und offenes Aussehen“, erklärt Jan Baedeker, Kreativdirektor und Chefredakteur bei Classic Driver (Schweiz) AG. „Dieses Auto, das aus dem Design eines 935 entstand, mit seiner flachen Front und den Klappscheinwerfern wirkte aggressiver – wie der ‚böse Bruder‘ des 911.“

Baedeker, der Fan des umstrittenen Fahrzeugs ist und über dessen „hinterlistiges“ Aussehen scherzt, meint dennoch, seine Designsprache sei ein Zeichen der Zeit gewesen. „Ich bin in den 1980er-Jahren aufgewachsen und habe Autos wie den Ferrari Testarossa und den Lamborghini Countach geliebt, weil sie so aggressiv, tiefliegend und kantig waren. Mit dem Flatnose schloss sich Porsche der Wedge-Design-Bewegung an.“

„Der Flatnose stammt aus einer Zeit, in der Porsche nach einer neuen Art von Kundschaft suchte“, ergänzt Gregor Piëch, ein begeisterter Sammler von Modellen mit großer Geschichte. „Es war eine Periode, während der Porsche experimentierte und austestete, wie sie sich an den Markt anpassen könnten, ohne die Designsprache ihrer Fahrzeuge zu verlieren.“ Die straßenzugelassenen Flatnose-Autos (darunter der 911 und der 930 mit Turbolader) entstanden aus der Kombination von aerodynamischen Flatnose-Autos, mit denen Porsche damals Rennen fuhr, und der Ambition ein neues Publikum zu erreichen, indem man etwas entwarf, das den weit verbreiteten, schnittigen italienischen Entwürfen nahekam (es gab sogar einen 930 in Ferrari-Rot). „Das Design war eher eine funktionale Rennsportentscheidung als eine ästhetische“, fügt Baedeker hinzu, der erst vor kurzem an der Porsche-Designausstellung „Curvistan“ in Bangkok mitgearbeitet hat. „Aus aerodynamischen Gründen entschieden sie sich für das Flatnose-Design, das keine traditionellen Scheinwerfer benötigte.“

Der Porsche 911 Flatnose, auch bekannt als „Slantnose“, war ab 1982 eine seltene Werksoption im Rahmen des Sonderwunschprogrammes von Porsche. Inspiriert von den dominanten 935-Rennwagen, verfügte die Straßenversion über ähnliche aerodynamische Merkmale. Die Produktionszahlen blieben jedoch aufgrund der hohen Kosten – bis zu 60 Prozent mehr als beim Standard-911 Turbo – niedrig. Bis zum Ende der Produktion im Jahr 1989 wurden nur 948 Exemplare gebaut, was ihn zu einer der seltensten 911-Varianten macht. Der schnittige und etwas unheimlich aussehende 911 Slantnose von heute ist also ein schwer zu findendes Modell.

GELBER
PORSCHE

  • Auto NamePorsche 911 Flatnose
  • FarbeGelb
  • Produzierte Fahrzeuge948
  • Baujahr1973

Ein einzigartiger Kauf

Piëch nutzt frei zugängliche Porsche-Archive, um seine Kenntnisse über die Geschichte dieser besonderen Zeit aufzufrischen. Seine Recherchetätigkeit ist auf einen sehr gerissenen Kauf, einen Glücksfall, zurückzuführen, der ihn in den Besitz des besonderen Fahrzeugs aus der Flatnose-Ära gebracht hat. Bei dem fraglichen Auto handelt es sich um ein gelbes Flatnose-Modell der ersten Generation mit 3,2-Liter-Saugmotor. Erworben hat er es in einer Gruppe von Porsche-Modellen bei einem europäischen Händler. Dieses Modell, so ist Piëch überzeugt, wird bei Autosammler:innen weltweit für Aufsehen sorgen. „In der Porsche-Community sind Modelle wie der Flatnose-Turbo, der 959S oder ein Carrera GT in einer seltenen PTS-Farbe gut bekannt, aber erst jetzt liest man von diesem Auto, das in Vergessenheit geraten ist.“

Nur sechs dieser Fahrzeuge wurden jemals von Porsche verkauft; drei Prototypen gingen irgendwo im Lauf der Geschichte verloren. Laut der Sammler:innengemeinde und Porsche ist das Modell derzeit, Stand 2024, ein Unikat. Von den meisten Sammler:innen würde ein solches Fahrzeug (in einem sehr italienischen Gelb) eher als nachträgliche Modifikation abgetan denn als Werksoriginal (an-)erkannt werden. Als Piëch jedoch Wind davon bekam, dass das Fahrzeug zum Verkauf stand, konnte er dessen Herkunft prüfen und erfuhr, dass es sich tatsächlich um eines der wenigen Flatnose-Coupés mit Saugmotor handeln könnte. „Wir waren etwas überrascht, als wir das erfuhren, denn wie Sie wissen, hat unser familiärer Hintergrund ziemlich viel mit der Porsche-Geschichte zu tun“, lacht Piëch. „Sagen wir mal, ich habe ein bisschen darauf gewettet, dass er echt ist – und ich hatte das Glück, richtig zu liegen.“

Gemäß den zugänglichen Archiven von Porsche handelt es sich bei dem Wagen um ein echtes Fabrikmodell. Das Gelb ist zwar keine klassische Porsche-Farbe, ergibt im historischen Kontext aber Sinn und macht den Wagen heute noch spezieller. „Farbe war schon immer eine Möglichkeit, Autos zu personalisieren“, erklärt Baedeker. „Damals waren die Möglichkeiten allerdings eingeschränkter als heute. In Mitteleuropa kauften die Leute ihre Porsches meist in Silber, Dunkelblau oder vielleicht Bronze.“ Baedeker erwähnt weitere Farben, die zu anderen Ländern und Kulturen passen. Ein weißer Porsche mag in Hamburg ein wenig langweilig aussehen, aber wenn man bei Sonnenuntergang durch die Straßen Kaliforniens fährt, bekommt dasselbe Weiß einen anderen Charakter. „Während in Ländern wie der Schweiz ein gelber Porsche als schrill angesehen werden könnte, wird er in anderen Teilen der Welt positiver gesehen.“

Porsche 911 Flatnose: Ein seltenes Juwel der Automobilgeschichte

Eine kontroverse Sammelphilosophie

Trotz der Einzigartigkeit dieses gelben 911er-Oldtimers könnte seine Entdeckung in der Porsche-Community auf gemischte Gefühle stoßen. Doch für Piëch geht es beim Besitz dieses 3,2-Liter-Flatnose nicht nur darum, ein seltenes Auto zu besitzen; es geht ihm auch darum, ein Stück von Porsches Abenteuergeist und deren Bereitschaft, die Grenzen des Designs zu sprengen, zu bewahren. „Ein puristischer Porsche-Fan betrachtet das Modell vielleicht nicht als ‚klassischen Porsche‘, denn für ihn bzw. sie hat dieser aufrechte Scheinwerfer“, erklärt er. „Der Flatnose ist das komplette Gegenteil davon, und manche Purist:innen sind keine Fans dieser Autos. Doch für mich sind diese Porsche-Modelle der Grund, warum so viele Menschen diese Marke lieben, denn damals, in den 1980er-Jahren, waren das Posterautos – mit einem echten Wow-Faktor.“

Baedeker fügt hinzu, dass der Porsche Flatnose seinen Platz in der einzigartigen Geschichte von Autos mit Wedge-Design verdient – ​​einer Zeit der Originalität und Innovation in der Automobilwelt. „Der Trend zum Keildesign begann in den späten 60er-Jahren mit Designern wie Nuccio Bertone, Giorgetto Giugiaro und Marcello Gandini.“ Während diese Autos der Sechziger in ihrer Form noch sehr natürlich und raffiniert sind, lösten Konzeptautos wie der Lancia Stratos Zero, der Maserati Boomerang und der Alfa Romeo Carabo einen Trend aus, der zu kontroverseren Fahrzeugen führte. „Von einem Tag auf den anderen sahen wir diese kantigen, rechteckigen Autos auf den Markt kommen. Die Leute waren ziemlich schockiert“, erzählt Baedeker. „Aber es war eine Mode und das Interesse der Leute stieg; die Maseratis und Ferraris der späten 70er- und frühen 80er-Jahre übernahmen im Grunde alle diese flachen, kantigen Designs. Sie entsprachen den Anzügen der Zeit, mit ihren großen, breiten Schultern; alles war sehr kantig“. Während Baedeker anmerkt, dass Porsche sich zuallererst aus Aerodynamikgründen in diese Richtung bewegte, waren diejenigen, die in die Flachbau-Straßenversionen investierten, zweifellos von einer breiteren Bewegung im Automobilbau motiviert. „Die Designtrends der Zeit haben Porsche vielleicht nicht inspiriert, aber sie sind wahrscheinlich bei den Kund:innen auf Interesse gestoßen, was Porsche wohl dazu ermutigt hat, mehr Flachbau-Modelle zu bauen.“

„Guter Wein ohne eine tolle Geschichte ist nur fermentierte Traube. Wenn wir über etwas sprechen können, hinter dem eine Geschichte steckt, die es einzigartig macht, können wir es viel mehr wertschätzen.“

Für Piëch ist es Teil seiner Sammelphilosophie, ein Auto zu haben, das ein berechtigtes Gesprächsthema ist, ein Fahrzeug, das einen bestimmten Moment der Zeitgeschichte markiert. „Wir wollen eine etwas andere Garage haben“, erklärt er. „Wir schauen uns oft Autos an, die kontrovers sind und vielleicht zum Zeitpunkt des Kaufs nicht unbedingt als ‚Sammlerstücke‘ gelten. Für uns ist wichtig, dass sie eine unterstützende Rolle im Aufbau einer Marke gespielt haben – dass sie Teil einer größeren Geschichte sind.“ Wie beim gelben 911 setzt Piëch auf weniger geschätzte Modelle. Sein aktueller Favorit für eine Wertsteigerung in den kommenden Jahren ist der viel geschmähte Porsche 996 (1997 auf den Markt gebracht) mit seinen tropfenförmigen Scheinwerfern, die wegen ihrer ungewöhnlichen Form oft als „Tränensäcke“ bezeichnet werden. „Das Modell Porsche 911 (996) gilt als der einzige Porsche mit tropfenförmigen Scheinwerfern. Aus diesem Grund zählt dieses Auto bei einigen Porsche-Enthusiast:innen nicht unbedingt zu den Favoriten“, sagt Piëch. „Aus gestalterischer Sicht hat der 996 die übrigen Porsche-Modelle und ihre allgemeine Designsprache stark beeinflusst. Und obwohl sich ihr Stil in den letzten zehn Jahren weiterentwickelt hat, weisen moderne Porsche-Fahrzeuge ein Aussehen auf, das an den 996 erinnert. Genau so gehen wir an das Sammeln heran – wir schauen uns das Erbe einer Marke, und das, was sich im Laufe der Zeit und in Bezug auf das Design geändert hat, genau an.“

Das Fazit

Was ist also das Fazit für Sammler:innen, egal, ob es sich um Autos, Möbel oder so etwas Kleines wie Briefmarken oder Münzen handelt? Wie Gregor Piëch immer sagt: „Guter Wein ohne eine tolle Geschichte ist nur fermentierte Traube. Wenn wir über etwas sprechen können, hinter dem eine Geschichte steckt, die es einzigartig macht, können wir es viel mehr wertschätzen.“

Zurück zum gelben 911 Flatnose, der an einem sicheren Ort irgendwo in Europa aufbewahrt wird. Er bleibt ein Beweis für Porsches Innovationsgeist in einer Zeit intensiver Konkurrenz und Marktexperimente. Für Sammler:innen mit der richtigen Einstellung geht es beim Besitz eines solchen Autos nicht nur um das Fahrzeug selbst, sondern darum, einen Schlüsselmoment der Automobilgeschichte zu bewahren und zu feiern. Und für Piëch ist seine Philosophie klar: Eine großartige Innovationsgeschichte steigert den Wert eines Autos in seiner Sammlung. Es geht nicht nur um das Metall und den Motor; es geht um die Geschichte, die das Fahrzeug erzählt.

Text
Nolan Giles
Fotografie
Jan Kapitän
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