Flowsofly
Die Linien des Lebens

Art and Design

Flowsofly ist einer der spannendsten Lineart-Künstler unserer Zeit. Mit minimalistischen Zeichnungen fängt er intime Momente und echte Emotionen ein – und setzt dafür nicht einmal den Stift ab. Für Maison Ë hat er eine limitierte Auflage gestaltet, die in ausgewählten Ausgaben der Founders Edition beiliegt. Im Interview gewährt er uns Einblicke, wie seine Kunst auch zwischen den Zeilen zu lesen ist.

Der Künstler, der anonym bleiben möchte.

MAISON Ë Du hast dich entschieden, als Künstler anonym zu bleiben. Wie beeinflusst das deine Beziehung zu deiner Kunst und deinen Followern?

Flowsofly Die Anonymität hilft mir, meine Bilder ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Meine Kunst spielt viel mit Fantasie und lädt dazu ein, zwischen den Zeilen zu lesen. Meistens will man ein Bild durch die Augen der Kunstschaffenden interpretieren, ich würde aber lieber die Betrachter:innen ermutigen, eigene Gedanken, Gefühle und Interpretationen zuzulassen.
Anonymität birgt natürlich auch Einschränkungen und Herausforderungen, besonders, was den Verkauf betrifft. Käufer:innen, die höhere Summen für ein Unikat ausgeben, wollen oft gerne mehr über die Schöpfer:in erfahren. Diesem Wunsch komme ich mittlerweile auch gerne nach.
 
M.Ë Deine Werke bestehen aus nur wenigen Linien und haben trotzdem so viel Ausdruck. Wie schaffst du es, mit so wenig so viel zu sagen?
 
F. “Man kann immer etwas hinzufügen. Schwieriger ist es, etwas wegzulassen. Erst wenn man nichts mehr wegnehmen kann, ist das Werk fertig.“ Diese Devise, die viele Designer:innen geprägt hat, hat auch meine Kunst beeinflusst. Was für ein Werk notwendig oder überflüssig ist, bedarf einer persönlichen Einschätzung. Meine visuelle Sprache hat sich über circa 10.000 Zeichnungen und zehn Jahre so entwickelt, dass ich stets die Balance suche – zwischen spezifisch und abstrakt, konkret und offen, erklärend und geheimnisvoll. Im kreativen Prozess bedeutet das meistens, mehrere Iterationen zu machen. Da man Linien schwer rückgängig machen kann, heißt das oftmals von vorne zu beginnen.
 

Wenn du sagst, dass meine Linien viel aussagen, dann möchte ich auch deinem Kopfkino Lob und Anerkennung zollen, denn in Wahrheit sind es die Fantasien und Interpretationen der Betrachter:innen, die meine Werke ausfüllen und ihnen Bedeutung geben. Manche Personen sind offener und empfänglicher für eine interpretative Gedankenreise, andere wollen sich lieber zurücklehnen und die ganze Geschichte erzählt bekommen.

 
M.Ë Denkst du, dass es der Raum für Interpretationen ist, der so viele Leute in den Bann deiner Kunst zieht?
 
F. Ich denke, es ist auch eine Mischung aus Stil und Thematik. Die Linien sind spezifisch und doch abstrakt, aber meine Themen sind menschlich, oft zwischenmenschlich. Ich habe das Gefühl, dass wir uns als Menschen nach Geschichten sehnen. Besonders dann, wenn diese Geschichten unterdrückte Interessen und Bedürfnisse ansprechen, wie zum Beispiel Sexualität. Wir wollen uns selbst in diesen Geschichten suchen und finden.
 
M.Ë Intimität ist ein wiederkehrendes Thema in deiner Kunst. Woher kommt diese Faszination für menschliche Beziehungen?
 
F. Ich mag das Wort Intimität und die vielseitigen Auslegungen davon: Viele denken zuerst an körperliche Intimität, vielleicht auch an Sexualität. Aber auch emotionale Intimität ist ein großes Thema für mich. Alles hat einen Bezug zur Ehrlichkeit, Nacktheit, Natürlichkeit, Verletzlichkeit. In unserem technologischen Zeitalter sehnen wir uns doch noch mehr danach und kaschieren es oft umso mehr mit Oberflächlichkeiten. Ich glaube, es ist eine Rückbesinnung auf das Menschliche, die mich treibt, reizt und fasziniert.
Wenige Linien mit viel Ausdruck.
M.Ë Du hast auf Social Media eine riesige Reichweite. Wie nutzt du diese Plattformen für deine Kunst? Und denkst du, hat Social Media die Art verändert, wie wir Kunst wahrnehmen?
 
F. Manchmal fühlt sich Social Media so an, als wäre ich in einem gerammelt vollen Fußballstadion und auf einmal bekomme ich ein Megaphon in die Hand gedrückt und kann zwei Sekunden lang etwas sagen. Was sagt man 300.000 Menschen, wenn man die Möglichkeit hat, dafür aber nur zwei Sekunden Zeit?
 
Es ist Wahnsinn, wie viel Content im Internet und auf Social Media kursiert. Dass kann fantastisch, aber auch sehr überfordernd sein. Deshalb wird die Rolle der Kuration immer wichtiger. Diese übernehmen manchmal Personen, Organisationen oder Medienhäuser, größtenteils geschieht das jedoch durch Algorithmen. Und dass diese Algorithmen nicht auf Ästhetik, gesellschaftlichen Wert oder Nachhaltigkeit setzen, sollte jedem bewusst sein. Stattdessen wird Engagement und Provokation gefördert. Das hat die gesamte Medienlandschaft verändert, die Politik, aber auch die Kunst. Diese Algorithmen funktionieren nach einem darwinistischen Prinzip, bei dem der „stärkere” Content überlebt. Aber theoretisch hat jeder Post die Möglichkeit, ein Welthit zu werden.
 
Diese Demokratisierung hilft vielen Kunstschaffenden, mir auch, Barrieren in der Kunstwelt, die durch gewisse Galerien und Institutionen bestehen, zumindest teilweise zu umgehen. Social Media hat aber auch viele Kunstformen zu Content degradiert und kopierbar gemacht. Und weil die Vermarktung auch stärker über Instagram und Co. abläuft, wird man dazu trainiert, viel und laut zu schreien, statt in Ruhe und mit Geduld am eigentlichen Werk zu arbeiten.
 

Nach über 15 Jahren als aktiver User auf Social Media habe ich also ein differenziertes Fazit. Social Media war und ist extrem bereichernd für mich. Kreativ, sozial, politisch, unternehmerisch. Ich bin mit so vielen Ideen und Personen in Kontakt, das wäre analog so nicht vorstellbar. Die größte Bereicherung ist sicherlich das Kennenlernen von neuen Personen und die Interaktion mit meiner Community.

M.Ë Ich kann mir vorstellen, dass die Leute ganz unterschiedlich auf deine Kunst reagieren. Gab es mal eine Interpretation, die dich besonders berührt oder überrascht hat?

 

F. Ich glaube, dass wir uns manchmal nach Identifikations- und Kommunikationsmöglichkeiten abseits von Worten sehnen. Und manchmal auch nach Anlaufstellen, die wir aufsuchen können und die nicht fragen, wer wir sind oder woher wir kommen, wie wir aussehen, sondern einfach da sind und uns eine Art Umarmung anbieten können. Wenn meine Kunst so eine Rolle einnehmen darf, dann rührt mich das zutiefst. Da viele meiner Werke das Zwischenmenschliche thematisieren, erhalte ich viele Rückmeldungen von Menschen, die mir ihren Herzschmerz, ihre Traumata, ihre Liebesodyssee oder Wunschvorstellungen anvertrauen.

„In meiner Kunst versuche ich, eine Balance zwischen spezifisch und abstrakt, konkret und offen, erklärend und geheimnisvoll herzustellen.“

In seiner Arbeit setzt sich Flowsofly seinen Gedanken, Ängsten und Fantasien auseinander.

M.Ë Was treibt dich persönlich und deine Kunst an?

F. Ich finde, das Leben braucht Neugierde und Leichtigkeit. In meiner Arbeit heißt das, aus meiner Komfortzone zu treten und mich meinen Gedanken, Ängsten und Fantasien zu stellen. Wie viele andere mache ich oft einen großen Bogen darum, manchmal bekomme ich einen wohlwollenden Tritt in den Hintern und manchmal bringe ich selbst den Mut dazu auf. Sich selbst und die eigene Arbeit zu hinterfragen, kann existenzielle Folgen haben. Diese Reflexionen sind aber wichtig, um sich weiterzuentwickeln und anzuerkennen, dass sich das Rad der Welt außerhalb und innerhalb von einem selbst weiterdreht. An etwas krampfhaft festzuhalten, ist in Wahrheit nur das Verneinen der neuen Gegenwart. Man muss lernen, sich von der Vergangenheit zu befreien und sein Packerl, das jeder zu tragen hat, klein zu halten. Frieden zu schließen.

M.Ë Gibt es Themengebiete, die du unbedingt noch erforschen möchtest?

F. Ich versuche, mich stets weiterzuentwickeln. Aktuell liegt mein Fokus auf dem kreativen Prozess. Thematisch möchte ich mich neben der menschlichen Natur auch anderen, natürlichen Themen widmen, vielleicht der Botanik. Was die Materialien betrifft, möchte ich wieder mehr experimentieren. Farbe ist auch ein riesiges Thema für mich.

Ein Projekt, das ich hier anteasern möchte, ist Schmuck. Nach einigen Experimenten mit Formen und Materialien machen wir in diesem Bereich super Fortschritte, meine Kunst als tragbare Skulpturen und Schmuck zu entwickeln.

M.Ë Wie definierst du eigentlich Kreativität für dich?

F. Der etymologische Ursprung des Kreativitätsbegriffs liegt ja beim lateinischen Verb creare, das Erschaffen bedeutet. Mir gefällt das ganz gut, weil es das Tun in den Vordergrund stellt. Das Schöpferische. Wer also etwas schafft, der handelt. Für manche ist das Anfangen schwierig. Für die meisten aber das Durchziehen. Egal, ob es sich um eine Diät, ein Marathontraining oder das Kunstschaffen handelt, ich bewundere Menschen, die diszipliniert und begeistert etwas durchziehen.
 

M.Ë Viele deiner Werke fangen flüchtige Momente ein. Ist Kunst eine Möglichkeit, diesen Augenblicken Dauer zu verleihen?

F. Ja, das Kunstwerk ist etwas Statisches. Aber die Interaktion damit findet im Hier und Jetzt statt. Und je nachdem, was einen gerade beschäftigt, zeichnet sich in der eigenen Gedankenwelt ein anderes Bild ab. Die Idee, einen Augenblick, ein Gefühl, eine Person erlebbar und wieder erlebbar zu machen, ist ein schöner Gedanke. Und wohlgemerkt auch einer, der sich verändern kann, der beim neuerlichen Betrachten neue Assoziationen, Gedanken und Gefühle entwickeln kann. Darum mag ich eine gewisse Abstraktion in der Kunst, das fördert das weiterführende und variable Denken und Fühlen.

TEXT
Taskin Yüksel
Fotografie
Stefan Fürtbauer
(Alle anzeigen)
Meine Liste
Read (0)
Watch (0)
Listen (0)
Keine Stories