Das Eames House
Zeitlos und beständig
„Ist es das nicht wert, ein paar zusätzliche Momente umgeben von Schönheit zu verbringen?” Das war die Frage, die einer jungen Lucia Dewey Atwood von ihrer Großmutter Ray Eames gestellt wurde, einer Hälfte des legendären Designduos Charles und Ray Eames.
(Design)
Im sonnendurchfluteten Eames House des Paares, das 1949 an der kalifornischen Küste gebaut wurde, verzauberte Ray ihre Enkelin, indem sie den Esstisch kunstvoll mit frisch gepflückten Blumen, bunten Servietten und ungleichem Geschirr dekorierte. Dabei ging es nicht nur um eine spielerische Ästhetik, sondern darum, ein inspirierendes Erlebnis zu schaffen, das den Genuss einer Mahlzeit für alle steigerte, die das Glück hatten, in ihrem Haus zu speisen.
„Ray hatte dafür kein Rezept; es war wie ein Tanz“, erinnert sich Dewey Atwood, als sie mit Maison Ë über das Leben im charmanten Eames House sprach, wo sie sowohl in ihrer Kindheit als auch als Erwachsene viel Zeit verbrachte. „Es war so mühelos. Während ich ihr jahrelang dabei zusah, wie sie diese wunderschönen, sich ständig verändernden Tischlandschaften gestaltete, wurde mir klar, wie wichtig es ist, in jedem Moment präsent zu sein. Man kann einen wunderschönen Raum schaffen, wenn man engagiert und präsent ist.“
Was für ein Ort, um präsent zu sein: das Eames House. Das aus Glas und Stahl bestehende Gebäude steht auf einem Steilhang im friedlichen, wohlhabenden Stadtteil Pacific Palisades in Los Angeles und fügt sich harmonisch in das üppige, baumreiche Grundstück ein. Das Haus (2006 zum Nationalen Wahrzeichen erklärt) ist eine Oase exzellenten und durchdachten Designs: innen hell und luftig, die kastenförmige Außenfassade durch farbenfrohe Paneele belebt. Seine Kreation durch Charles und Ray war Teil des ehrgeizigen „Case Study House“-Programms des Arts & Architecture Magazins, das Architekt:innen in den gesamten USA dazu ermutigte, die Wohnungsgestaltung nach dem Krieg zu überdenken.
„Die Fragestellung an die Architekturgemeinschaft war folgende: wie kann man neue Materialien und Verfahren aus den Kriegsjahren so einsetzen, dass Häuser kostengünstiger und schneller gebaut und trotzdem den neuen Ansprüchen moderner Familien gerecht werden?“, erklärt Dewey Atwood, die heute im Vorstand der Eames Foundation sitzt.
„Charles und Ray fanden die Idee der Massenproduktion gut – sie hatten beobachtet, was diese für Jeep bewirkt hatte, wo neue Technologien eingesetzt wurden, um ein problemgeplagtes Fahrzeug in etwas zu verwandeln, das schnell produziert werden konnte, aber dennoch großartiges Design und Qualität hatte. Beim Eames House verwendeten meine Großeltern existierende Fertigbauelemente, die man eher mit industriellen Herstellungsstrukturen in Verbindung bringt, um diese Effizienz bei einem Wohnhausdesign einzusetzen. Sie dachten bei jedem Schritt kreativ – kauften schöne Geländer aus einem Kreuzfahrtschiffkatalog – und fügten alle möglichen Lösungen ‚von der Stange’ hinzu, die sehr demokratisch waren.“
„Es war ein Ort spielerischer Neugier und Experimentierfreude.“
Das Ergebnis war ein purer Ausdruck des offenen Wohnens und bot damals Menschen, die ihr Zuhause gestalten oder ein Haus bauen wollten, viele Ideen als Vorlage. Das Leben im Haus konzentrierte sich außerdem auf das Zusammenleben, wobei der großzügige Gemeinschaftsraum als zentraler Treffpunkt für die Familie und Gäste fungierte. Das Design betonte gemeinsame Erlebnisse und Zusammengehörigkeit, Werte, die ebenso bei den Möbeln sichtbar waren, für die Eames berühmt wurde. „Das ganze Ziel war, die Bedürfnisse des Gastes zu antizipieren“, erklärt Dewey Atwood; etwas, das auch auf die Parallelen zwischen dem gastfreundlichen Design dieses Hauses und dem Ansatz des Ehepaars Eames zum Industriedesign zutrifft. „Charles hatte dieses wunderbare Zitat, dass die Rolle des Designers bzw. der Designerin die eines guten Gastgebenden sei, der die Bedürfnisse des Benutzers bzw. der Benutzerin antizipiert – und das trifft zu.“
In vielerlei Hinsicht diente der Raum dem Paar als lebendiges Labor, in dem es Designideen für die Möbel testen konnte, deren Kreation es weltweit bekannt gemacht hatte. Allerdings wurde in diesem Haushalt alles wohl überlegt kuratiert. Doch anstatt das Gefühl zu haben, dass diese Innenräume kostbar und perfekt waren, wurden die Gäste im Eames House ermutigt, kreativ zu sein – Spielen war durchaus erlaubt. „Es war ein Ort spielerischer Neugier und Experimentierfreude“, erklärt Stine Liv Buur, Design Manager für Klassiker bei Vitra, dem Schweizer Möbelunternehmen, das seit 1957 Eames-Möbel in Europa produziert. „Ihr Zuhause war mehr als nur ein Ort zum Leben. Sie brachten so viele Elemente in das Haus – massenproduzierte Industriestücke, ihre Möbelprototypen und gefundene Objekte wie Muscheln, Steppenläufer und Volkskunst – all das regte ihre Kreativität an. Es war ein Ort der Inspiration. Das ganze Haus war eine Umgebung, in die Besucher gerne kamen, was unglaublich war, weil das Haus aus Industriematerialien zusammengebaut war und dennoch so viel Wärme ausstrahlte.“
Liv Buur erklärt, wie sich die Inneneinrichtung des Hauses von den 1950er- bis in die 1960er-Jahre entwickelte, als die Marke Eames wuchs und mehr Möbel kreiert wurden. Sie erwähnt dabei ein Schlüsselstück (und ein Design, für das das Paar wahrscheinlich am berühmtesten ist), den Eames Lounge Chair aus Leder und Holz, der eine zentrale Rolle in diesem Raum spielt, seit er im Jahr 1956 hinzugefügt wurde. „Er wurde Teil ihrer Familie“, sagt Liv Buur über das Stück, das laut Charles Eames „das warme, offene Aussehen eines viel getragenen First-Baseman-Handschuhs“ hatte. Liv Buur fügt hinzu, dass die Form, die aus zwei separaten Teilen besteht und eine fast maschinenartige Effizienz aufweist, zwar nicht offensichtlich schön ist, aber aufgrund ihres Komforts und ihrer Funktionalität zu einem Designklassiker geworden ist. „Es wurde auf eine superschlaue Weise entworfen – mit der Zeit verlieben sich die Leute in dieses Möbelstück, nicht nur, weil es wirklich funktioniert, sondern, weil es diese besondere Geschichte hat und seit so vielen Generationen Teil der Designkonversation ist.“
Auch das Eames House ist seit seiner Entstehung vor 75 Jahren Teil des Designdialogs geblieben. Architektonische Ideen wie die nahtlose Verschmelzung von Innen- und Außenwohnräumen und die bewusste Mehrzwecknutzung der Räume sind in der Branche noch heute gefragt. „In den Anfangstagen des ‚Case Study House‘-Programms wurden die Häuser nach ihrer Fertigstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, was sehr wichtig war“, erklärt Dewey Atwood. „Häuser sind für die meisten von uns das Teuerste, was wir je kaufen werden, also müssen sie funktionieren – und indem man sie damals der Öffentlichkeit zugänglich machte, konnten die Menschen sehen, wie diese Art von Wohnen funktioniert. Es ist eine Sache, Bilder in Katalogen zu sehen; es ist eine ganz andere, der Öffentlichkeit zu ermöglichen, das Haus in Aktion zu erleben und sich Ideen für ihr Zuhause auszusuchen, die ihnen gefallen.“
Heute jedoch ist die moderne Instandhaltung des Eames House aufgrund des ursprünglichen, effizienten Designs und der Verwendung erschwinglicher Materialien aus den 1940er Jahren ein beträchtlicher Aufwand, und der Zugang zum Haus ist begrenzt. Im Jahr 2012 startete die Eames Foundation gemeinsam mit dem Getty Conservation Institute ein umfangreiches Erhaltungsprojekt für das Anwesen. Dabei wurden sorgfältige Arbeiten durchgeführt, um die Probleme mit der Alterung einst innovativer Materialien (wie Asbestfliesen – die inzwischen ersetzt wurden) und der Gefahr von Umweltschäden anzugehen. Ein Schwerpunkt der Erhaltungsmaßnahmen liegt auf der Erhaltung des Hauses als lebendiges Stück Geschichte, das die Vision der Eames widerspiegelt, Kunst, Design, Arbeit und Alltag unter einem Dach zu vereinen. Dazu gehört die Anbringung von UV-Schutzfolien an den Fenstern, um zu verhindern, dass Sonnenlicht die Inneneinrichtung beschädigt, und die Installation eines neuen Dachentwässerungssystems, um die Struktur vor Wasserschäden zu schützen. „Jeder Eingriff, den wir vornehmen, ist reversibel“, betont Dewey Atwood. „Das bedeutet, dass zukünftige Generationen das Haus weiterhin so genießen können, wie es von Charles und Ray vorgesehen war, und es bei Bedarf flexibel anpassen können.“
Dewey Atwood ist an der Verwaltung dieses geschichtsträchtigen Hauses beteiligt, das viele schöne Erinnerungen aus ihrem Leben birgt. Sie erinnert sich gern an ihre Zeit als umschwärmte junge Enkelin und daran, wie sie später als heranwachsende Person die einzigartige Einstellung ihrer Großeltern zur Arbeit beobachten konnte. Ihr heutiges Ziel ist es, gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern und leidenschaftlichen Erhalter:innen, das Eames House instand zu halten, um das Erbe ihrer Großeltern zu ehren und sicherzustellen, dass der Ort weiterhin inspiriert und bildet. „Es ist uns wichtig, das Haus so zu erhalten, wie Charles und Ray darin gelebt haben, damit die Leute ihren Designprozess tatsächlich hautnah miterleben können“, sagt Dewey Atwood. „Das ist die wahrste Art und Weise, zu sehen, wie Charles und Ray an das Leben herangegangen sind – die Schönheit der Art und Weise, wie aus der Arbeit ein Leben wurde. Wenn die Leute das Haus besuchen können und es sie auf diese Weise anspricht und ihr Leben bereichert, haben wir es geschafft.“