Tools for Food
Corinne Mynatt, eine in London lebende Designexpertin, verbindet Minimalismus mit einer Leidenschaft für japanische Kochutensilien. Ihr Projekt “Tools for Food” erforscht die Geschichte und Tradition dieser Werkzeuge, von Sesamröstkäfigen bis zu Reiben, und enthüllt dabei die faszinierende Handwerkskunst Japans.
(Japan)
„Privat bin ich Minimalistin.“ Das mag angesichts Corinne Mynatts Forschungsgebiet doch überraschen: Die in Tennessee geborene Designexpertin widmet sich Werkzeugen der Kochwelt – von denen es unendlich viele zu geben scheint: angefangen bei einer simplen französischen Knoblauchpresse aus Aluminiumguss – mit dieser hat auch ihr Projekt „Tools for Food“ begonnen – über japanische Sesamröstkäfige bis hin zu schwedischen Töpfen auf Stelzen. Mynatt, die in London lebt und als Kuratorin im Designkontext arbeitet, stöbert solche Objekte auf, erforscht ihre Hintergründe, katalogisiert und präsentiert sie. Ihre Rechercheorte sind Flohmärkte sowie Hausratgeschäfte und Supermärkte in fremden Ländern, etwa die Kappabashi Kitchen Street in Tokio. Aber auch Bibliotheken und Museen sind eine wichtige Fundgrube.
„Tools for Food“ hat im Jahr 2018 mit einem Instagram-Auftritt begonnen, ein gleichnamiges (erstes) Buch folgte, bisher auf Englisch, Italienisch und Japanisch erschienen. Für Kochinteressierte eröffnen sich in diesem Buch tatsächlich neue Welten. Ob griechische Brotstempel aus Holz, osteuropäische Gebäckpinsel aus Gänsefedern oder amerikanische Gummispatel, Corinne Mynatt kennt sie alle. Was sie für „Tools for Food“ ausklammert, sind unnötige Gadgets und elektronische Geräte. Auch die Tischkultur ist nicht Teil dieses Projekts – „ein viel zu großes eigenes Forschungsgebiet“.
Mynatts besonderes Interesse an der japanischen Kochdingkultur ist im Buch nicht zu übersehen; ihre erste Recherchereise hatte sie dorthin geführt. Die Designexpertin, die unter anderem am Central Saint Martins in London studiert und einen Master in Contextual Design in Eindhoven hat, ist schon lange von der alten, aber noch immer so lebendigen Handwerkstradition Japans fasziniert. Jüngst hat sie japanischen Kochutensilien, die Hand in Hand mit der nationalen Kochkultur gehen, ein eigenes Filmprojekt gewidmet, unterstützt von der Great Britain Sasakawa Foundation und der Daiwa Anglo-Japanese Foundation (online hier zu finden.)
Mynatt besuchte kleine Handwerksbetriebe in Familienbesitz, dokumentierte Arbeitsschritte und fing die besonders konzentrierte Stimmung ein. „Teilweise dauert es viele, viele Jahre, bis die Leute das Handwerk wirklich beherrschen, das von einer Generation an die nächste weitergegeben wird.“ Eine japanische Freundin, bewandert in Kulinarik wie in Designthemen, half ihr, Zugang zu finden. Für Besucher:innen aus dem Westen könne es ja in Japan recht herausfordernd sein, Vertrauen zu gewinnen, erzählt Corinne Mynatt. „Dass ich über japanische Objekte schon ein Buch geschrieben habe, das noch dazu auf Japanisch erschienen ist, hat aber enorm geholfen.“
Sunami Toru
Shoten
Grasweberei
Auf Japanisch heißt das Arbeitsmaterial von Sunami-san und seiner Frau igusa: Die Flatterbinse, ein Vertreter der Süßgrasfamilie, wird traditionell eigentlich zur Herstellung von Tatami-Matten verwendet. Gräser, die für Matten zu kurz geraten sind, kommen in der kleinen Weberei außerhalb der Handwerksstadt Kurashiki in der Präfektur Okayama – sie besteht seit 1886 – zum Einsatz: Man webt und flicht dieses Naturmaterial, das mit der Zeit nachdunkelt, zu runden Topfuntersetzern, nabeshki genannt, und Flaschentragenetzen in zwei Größen, auf Japanisch binkago. Letztere nützte man früher dafür, sich auf dem Markt aus größeren Gebinden Sojasauce in die eigene, mitgebrachte Flasche nachfüllen zu lassen. Heute tragen Stilbewusste eher Bier, Wein oder Sake darin – das größere Format fasst genau eine Sakegroßflasche von 1,8 Litern. „Eine durch und durch nachhaltige Sache“, sagt Corinne Mynatt, „von den zu kurzen Gräsern bis hin zur Geschichte der binkago“.
Takada
1948
Bürstenmanufaktur
Die tawashi-Bürste ist eine Ikone japanischer Küchenkultur, sagt Corinne Mynatt. Die Geschichte dieses Reinigungsutensils ist jedoch womöglich gar nicht so alt, wie man glauben möchte: Die Kamenoko Tawashi Company in Tokio schreibt sich die Erfindung im Jahr 1907 zu, obwohl viel ältere Aufzeichnungen ähnliche Arten von Bürsten aus gerafften Fasern zeigen. Für ihren Film besuchte Mynatt die Manufaktur Takada 1948 in der Präfektur Wakayama. In dieser Bürstenmacherei werden aus den dunkelbraunen Fasern der Hanfpalme Besen und Bürsten hergestellt.
Diese Fasern werden gleichsam als Matten vom Stamm der Palme geerntet, aufgetrennt, gewaschen und zur benötigten Länge zurechtgeschnitten, bevor es ans Bürstenmachen geht. Per Hand werden die kurzen Fasern zwischen zwei dicken Drähten angeordnet, die wiederum maschinell rasch ineinander verdreht werden – so entsteht die spezielle runde Bürstenform. Das Material ist robust genug, um Essensreste wegzuschrubben, scheuert jedoch nicht allzu sehr, schont also Oberflächen. Mit tawashi reinigt man nicht nur Töpfe, sondern putzt auch Gemüse, vor allem Wurzelgemüse. In einer weiteren Filmreihe, „Tools for Food in Use“, zeigt Corinne Mynatt den Gebrauch der tawashi am Beispiel der in Japan sehr beliebten Klettenwurzel: „Man schält sie nicht, sondern reibt sie nur mit der Bürste ab, nachdem direkt unter der Schale so viele Nährstoffe sitzen.“
Ooya Seisakusho
Reibenmanufaktur
Fast hundert Jahre alt ist die Werkstatt Ooya Seisakusho in Wako City im Norden Tokios; 1928 wurde das Familienunternehmen gegründet, das Handwerk hat sich seither kaum verändert: Man stellt oroshigane, die ikonischen Reiben für Rettich, Ingwer, Wasabi und andere Wurzeln, in verschiedenen Größen her. Rohmaterial sind kleine Kupferplatten in der charakteristischen Trapezform, die auf beiden Seiten verzinnt sind. Die einzelnen Zähne der Reiben werden mithilfe eines großen Nagels händisch herausgehämmert, dicht an dicht. Das Kupfer im Inneren der Platten kommt an diesen Stellen an die Oberfläche – ein spannender optischer Effekt aus kontrastierenden Metallarten.
In dieser Werkstatt beherrscht ein leises Stakkato aus gleichmäßigen, schnellen Hammerschlägen akustisch die Szenerie. Speziell sind hier auch die Werktische der Handwerker: Es sind dicke, liegende Baumstümpfe, die man zwischen die Beine klemmt und auf denen man die oroshigane hämmert. Oroshigane werden traditionell auch aus Bambus und Haifischhaut hergestellt. „Dieses Kochutensil ist einzigartig in der japanischen Kultur“, sagt Corinne Mynatt. „Man vererbt es und lässt es immer wieder reparieren“. Etwa hier, bei Ooya Seisakusho.
Ichiyougama
Töpferei
Die Überreste liegen außerhalb der Stadt, zu Bergen aufgetürmt: Bruchstücke aus Töpfereien, teilweise uralt, zeugen in der Stadt Bizen in der Präfektur Okayama im Süden der Insel Honshu vom hiesigen Handwerk. Wer genau hinsieht, erkennt auf vielen der zerschlagenen Gefäße Rillen – die typischen Rillen des suribachi-Mörsers, den man vor allem zum Zerkleinern von Sesam, Pfeffer und anderen Samen oder Körnern verwendet, mit dem man aber auch pürieren oder Soßen machen kann. Dieser typisch japanische Mörser, dessen Ursprünge aber im Süden Chinas liegen, ist nichts ohne einen surikogi, den hölzernen Stößel. Traditionellerweise nimmt man dafür Pfefferbaumholz; man sagt, dass dessen Geschmack in das Essen übergehe, hat Corinne Mynatt recherchiert.
Die Wurzeln der Töpferei Ichiyougama liegen Generationen zurück. Hier werden neben den Mörsern auch Teebecher, kleine Schalen und anderes Tafelgeschirr gefertigt. Für die suribachi wird Ton auf der Töpferscheibe zu dickwandigen flachen Schalen mit breitem, stabilem Standfuß gedreht. Nach einigen Tagen des Trocknens graviert man ein kammartiges Muster, auf Japanisch kushi-no-me, in das Innere der Schale, die sich durch die rauen Rillen in ein Reibewerkzeug verwandelt. Jede Töpferei hat ihren eigenen Brennofen, der mit Kiefernholz befeuert wird und rund um die Uhr überwacht werden muss – deshalb wird das Bizenware-Geschirr nur zweimal im Jahr gebrannt.
Die Wurzeln der Töpferei Ichiyougama liegen Generationen zurück. Hier werden neben den Mörsern auch Teebecher, kleine Schalen und anderes Tafelgeschirr gefertigt. Für die suribachi wird Ton auf der Töpferscheibe zu dickwandigen flachen Schalen mit breitem, stabilem Standfuß gedreht. Nach einigen Tagen des Trocknens graviert man ein kammartiges Muster, auf Japanisch kushi-no-me, in das Innere der Schale, die sich durch die rauen Rillen in ein Reibewerkzeug verwandelt. Jede Töpferei hat ihren eigenen Brennofen, der mit Kiefernholz befeuert wird und rund um die Uhr überwacht werden muss – deshalb wird das Bizenware-Geschirr nur zweimal im Jahr gebrannt.