Wie Antwerpen zum Zentrum
des guten Geschmacks wurde

 

Art and Design

Antwerpen hat sich zu einem Zentrum des kreativen Schaffens entwickelt. Hier geht es nicht um auffällige Inszenierung, sondern um die leise Kraft des Details, um Authentizität und die tiefe Wertschätzung für das Handwerk. Diese stille Eleganz zeigt sich nicht nur in den Galerien, Ateliers und Designzentren, sondern an fast allen Ecken und Enden dieser Stadt.

Die Tim Van Laere Gallery befindet sich im aufstrebenden Antwerpener Stadtviertel Nieuw Zuid.

(Maison Ë Besuch) „Was die Stadt im Allgemeinen betrifft, erklärt Ilse Cornelissens, so wird hier allerorts eine Kultur der Wertschätzung für gutes, schönes Designs zelebriert, die von Generation zu Generation weitergegeben wird“. Cornelissens selbst, betreibt gemeinsam mit ihrem Mann den fantastisch kuratierten Concept Store Graanmarkt 13, der ebenfalls den stillen Charme dieser Stadt verkörpert. Antwerpen gilt heute als Zentrum des guten Geschmacks in sämtlichen kreativen Belangen.
„Ich glaube, viele Antwerpener Talente lernen von den Generationen vor ihnen. Diese tief verwurzelte Wertschätzung von Qualität kommt daher, dass wir hier aufgewachsen sind“, sagt sie. „So war es auch bei uns – wir haben hier viel über Qualität gelernt, vor allem von Leuten wie Vincent Van Duysen.“

Vincent Van Duysen selbst, teilt sich seine Zeit zwischen Antwerpen, Portugal und Italien auf, wo er als Kreativdirektor der Möbelmarke Molteni & Co tätig ist. Dennoch hat er in den letzten zehn Jahren eine wichtige Rolle bei der Aufwertung der Stadt gespielt. Dies spiegelt sich auch in einem weiteren Projekt von Van Duysen und einem der stilvollsten Hotels der Stadt wider: dem August, einem ehemaligen Augustinerkloster, das zu einer ruhigen urbanen Oase wurde. Das sorgfältig renovierte Gebäude verdeutlicht, wie die Stadt ihr Erbe bewahrt und zugleich ihr kulturelles Verständnis für Qualität und Handwerk nutzt, um Altes in Neues zu verwandeln.

Van Duysen mag einer der bekanntesten Namen im Antwerpener Designkosmos sein – doch er ist längst nicht der einzige. Schließlich ist dies auch die Heimat des legendären Modedesigners Dries Van Noten und des berühmten Kollektivs der Antwerp Six, jener Gruppe von Avantgarde-Designern, die aus der renommierten Königlichen Akademie der Schönen Künste hervorging.

Am Rande der Stadt betreibt der angesehene Designer und Sammler Axel Vervoordt einen der stilvollsten Galerie- und Designzentren Europas: Kanaal. In seinen reduzierten Räumen beherbergt er einzigartige Werke aus den Bereichen Design und Interieur. In einem kreisförmigen Raum, der früher als Getreidelager genutzt wurde, ragt etwa ein gigantisches Werk von Anish Kapoor empor. „At the Edge of the World“ ist eine kraftvolle Installation, die die Besucher:innen zum Nachdenken über Form und Leere anregen soll. Die Stimmung, die diesem Werk innewohnt, steht sinnbildlich für das gesamte Kanaal. Es ist eine Hommage an durchdachte Kunst und Design, mit Werken, die von japanischen Gutai-Künstler:innen der Nachkriegszeit bis hin zu zeitgenössischeren Arbeiten reichen.

Der Antwerpener Stil

Die kulturelle Wertschätzung für Qualität ist in der gesamten Stadt spürbar. Innerhalb weniger Häuserblocks versammeln sich zahlreiche Highlights: In der zeitgenössischen japanischen Fotogalerie Ibasho (japanisch für „ein Ort, an dem man man selbst sein kann“, eröffnet 2015) lassen sich Drucke erwerben, während man in der Tim Van Laere Gallery (dem Zentrum für zeitgenössische Kunst im trendigen neuen Stadtteil Nieuw Zuid) moderne Werke bewundern kann.

 

IBASHO, eine Galerie die sich auf zeitgenössische japanische Fotografie spezialisiert hat.
„Ich liebe es, etwas Historisches mit etwas Zeitgenössischem, das ich entworfen habe, zu kombinieren“, sagt Designer Thomas Haarmann.

Nur einen kurzen Spaziergang vom Graanmarkt 13 entfernt, vorbei am Modepaleis, dem Flaggschiff von Dries Van Noten – einem renovierten Jugendstiljuwel aus dem Jahr 1881, das früher das Kaufhaus des Vaters des Designers war – in der Nationalestraat, liegt das Atelier von Thomas Haarmann.

„Ich möchte diesem Ort eigentlich kein Label verpassen“, erklärt der gefragte Designer, als er Maison Ë in einem warmen, einladenden Raum empfängt, der sowohl zeitgenössische Stücke als auch Vintage-Funde beherbergt. Während die Einrichtung des Ateliers in dunklen Tönen gehalten ist, sorgt ein großes Fenster im hinteren Teil des Raumes für ein Gefühl der Bewegung, da sich das einfallende Licht im Laufe des Tages beständig verändert. „Wenn man es als Geschäft sehen will, ist es ein Geschäft; wenn man es als eine Galerie sehen will, ist es eine Galerie. Letztendlich liegt es an den Menschen, die hereinkommen, zu entscheiden, was dieser Ort für sie ist“, sagt er. Die Werke, die Haarmann hier im Atelier entworfen hat, reichen von verspielten Keramiken über luxuriöse, aber schlichte Steinzeugbecken bis hin zu monumentalen Massivholzmöbeln, die er unter anderem für die niederländische Firma Van Rossum – für die er als Kreativdirektor tätig ist – entworfen hat. „Ich füge auch gerne Stücke hinzu, die ich auf meinen Reisen gekauft habe“, erzählt er, während er ein riesiges, altmodisches Wassergefäß aus Indien bewundert. „Es macht mir Spaß, etwas aus einem ganz anderen Kontext zu nehmen und es hier hinzuzufügen. Ich liebe es, ein historisches Objekt neben etwas Zeitgenössisches zu platzieren, das ich selbst entworfen habe.“

Thomas Haarmanns Atelier ist ein wohlig umhüllender Ort, wo man sich sofort willkommen fühlt.

Haarmann, ein in Deutschland geborener Kreativschaffender, der 2008 von London nach Belgien zog, hat das kreative Wachstum Antwerpens in den vergangenen Jahren aus nächster Nähe beobachtet und mitgeprägt. „Als ich ankam, war die Stadt nicht für Design bekannt. Für Mode, ja – aber nicht für Design. Im Laufe der Jahre hat sich das sehr geändert. Ich erinnere mich noch daran, wie ich irgendwann mal nach New York ging und den Leuten erzählte, was ich mache, und sie mir antworteten: ‚Oh natürlich, der belgische Stil‘“, beschreibt er die veränderte internationale Wahrnehmung. „Die Belgier gehen die Dinge organisch an. In der Designwelt hat das belgische und Antwerpener Design heute einen hervorragenden Ruf. Es sind die Zurückhaltung im Design, die echten Materialien und die Authentizität, die unsere Kultur repräsentieren. Hier geht es nicht darum, auf der Straße aufzufallen, sondern um die Magie, die hinter geschlossenen Türen stattfindet.“

„Es sind die Zurückhaltung im Design,
die echten Materialien und die Authentizität,
die unsere Kultur repräsentieren.“

Thomas Haarmann 
In dem schicken Atelier laden elegante Möbel und geschmackvolle Keramik zur Kontemplation ein und kreieren eine Atmosphäre des guten Geschmacks. 

Tim Van Laere Gallery
Diese Galerie in Antwerpens aufstrebendem Stadtteil Nieuw Zuid präsentiert zeitgenössische Kunst in einem geräumigen, modernen Gebäude. Das gut kuratierte Programm zieht ein schickes Sammlerpublikum an. 

Ibasho Gallery
Diese auf japanische Kunstfotografie spezialisierte Galerie befindet sich in einer umgebauten alten Antwerpener Residenz, über der das sachkundige Besitzerpaar wohnt.

Kanaal
Axel Vervoordts Kunstrefugium am Stadtrand von Antwerpen vereint industrielle Architektur mit monumentalen Kunstinstallationen. 

Text
Nolan Giles
Fotografie
Julia Sellmann

Robert Rieger
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