Wie japanischer Premiumtee französisches Champagnerhandwerk prägt

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Um Rosé-Champagner besser zu verstehen, reist der Chef des caves des Maison Louis Roederer seit vielen Jahren immer wieder nach Japan. Mit den besten Matcha-Produzenten der Welt entschlüsselt Jean-Baptiste Lécaillon die größtmögliche Reinheit des Produkts.

(Champagner) Man hört ihm nicht immer aufmerksam zu – das klassische Schicksal eines Anlassgetränks: Champagner muss sich oft damit abfinden, dass er zwar bei den wichtigsten Momenten dabei ist, aber fast nie im Mittelpunkt steht. Dabei hätte dieser Schaumwein doch selbst so viel zu erzählen, wenn man ihn ließe: An wie vielen Details da geschraubt wird …!

Das vielleicht Bemerkenswerteste an Champagner ist nämlich, dass so viele Grundparameter bei allen Vertretern seiner Gattung gleich sein müssen – und dennoch sind die Ergebnisse der Kellermeister so unglaublich vielfältig. Vorgegeben sind bekanntermaßen nicht nur die Appellation, in der die Trauben gewachsen sein müssen, nämlich die Champagne, und die erlaubten Rebsorten (drei Hauptsorten und weitere fünf). Das CIVC, das Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne, diktiert noch mehr: unter anderem die Lese ausschließlich per Hand und die zweite Gärung in der Flasche. Trotz des strengen Reglements gibt es eine bemerkenswerte Bandbreite. Champagner kann kitschigen Rosé mit einem Restzuckergehalt von 45 Gramm pro Liter bedeuten, aber auch einen knochentrockenen biodynamischen „Field Blend“, also gleichsam eine Cuvée per Anpflanzung, oder einen reinsortigen maischevergorenen Grauburgunder-Sprudel mit dem Terroir eines einzigen Weinbergs. Ein Beispiel für die personifizierte Akribie, die allein hinter einem Rosé-Champagner stecken kann, ist Jean-Baptiste Lécaillon. Er wuchs im Zentrum der Region, in Reims, auf und ist seit 1999 Kellermeister von Louis Roederer. Dieses Champagnerhaus ist eines der letzten großen in Familienbesitz und kann zu siebzig Prozent auf eigene biodynamisch oder biologisch bewirtschaftete Weingärten zurückgreifen – ungewöhnlich für ein so bedeutendes Maison, das mit seinem „Cristal“ eine der Champagner-Ikonen schlechthin produziert.

Um die Vorgänge hinter den Rosé-Methoden besser zu verstehen, hat Lécaillon einen ungewöhnlichen Weg gewählt, der für ihn noch lange nicht zu Ende ist: Er reist zwei Mal pro Jahr nach Japan, um dort viel Zeit mit den weltbesten Matcha-Produzenten zu verbringen und immer tiefer in die Parallelen in der Verarbeitung von Teeblättern und Weintrauben einzutauchen. Einer dieser Experten ist der bekannte Tea Master Shinya Yamaguchi aus Yame auf der Insel Kyūshū, der als einer von wenigen mehrmals das höchste Level, 10 Dan, erreicht hat.

„Solche Leute erzählen einem bei Weitem nicht alles beim ersten Mal“, sagt Jean-Baptiste Lécaillon über die japanische Mentalität. „Man muss sich ihr Vertrauen allmählich erarbeiten.“ Die Erkenntnisse aus Japans Teegebieten formen also den Rosé von Louis Roederer mit. Dieser ist übrigens, anders als viele Rosés, kein austauschbarer Easy-Drinking-Sprudel, sondern ein Vintage-Champagner, der nur in den besten Jahren gemacht wird. In der Champagne sind zwei Arten von Rosé-Schaumwein erlaubt: Der Großteil ist Rosé d’Assemblage, für den vor der zweiten Gärung in der Flasche weißer mit rotem Grundwein vermischt wird, der kleinere Teil Rosé Saignée. Für diesen geben, kurz gefasst, blaue Trauben gleich am Beginn des Herstellungsprozesses ihre rötlichen Schalenpigmente in den Most ab. Der Roederer-Rosé-Vintage gehört zur zweiten Kategorie.

„Egal, welchen Tee man macht, ob grünen, schwarzen, Oolong oder Matcha – alles beginnt mit demselben Blatt“, erklärt Jean-Baptiste Lécaillon. „Will man mehr umami haben, deckt man die Teepflanzen ein paar Wochen vor der Ernte ab, um die Chlorophyll-Produktion anzuregen. Im Fall von Matcha möchte man auch die grüne Farbe bewahren und den Geschmack des Teeblatts so pur wie möglich erhalten. Also gilt es, die Oxidation der Blattsäfte zu verhindern – da geht es um Stunden. Die Teeblätter für Matcha werden gedämpft, um die Oxidation zu stoppen, und möglichst rasch getrocknet. Dann kommen sie für zwei Stunden in den Ofen.“ Danach, so Lécaillon, werden die Stiele entfernt, „und somit auch die Bitterkeit – nur das Pure des Blattes bleibt“.

Man erhält den sogenannten Tencha, die Basis für Matcha, das gemahlene Grünteepulver, das Endprodukt dieses Aufwands. Die Reinheit des Geschmacks, die für Teemeister wie Shinya Yamaguchi so wichtig ist, hat auch für den französischen Kellermeister große Bedeutung: Das Wort „rein“ ist für Jean-Baptiste Lécaillon ein zentraler Begriff, um den Stil des Maison Louis Roederer zu beschreiben. Er verwendet ihn besonders oft in Zusammenhang mit dem „Cristal“ und dem „Cristal Rosé“, der 2024 übrigens sein 50. Jubiläum feiert – der Jahrgang 1974 war der erste. Der „Cristal Rosé“ wird mit rund 55 Prozent Pinot noir aus Grand-Cru-Lagen in Aÿ gemacht, 45 Prozent entfallen auf Chardonnay. „Nachdem wir für den ,Cristal Rosé‘ die Reinheit des Geschmacks suchen, müssen wir die Oxidation des Pinot noir stoppen.

Genau wie bei Matcha. Aber: Pinot noir ist sehr anfällig für Oxidation, und Trauben kann ich blöderweise nicht dämpfen“, sagt Lécaillon. Um die Reaktion mit Sauerstoff dennoch zu verlangsamen, kühlt man bei Roederer die Rotweintrauben nach der Ernte so rasch wie möglich in einem Kühlraum bei minus zehn Grad Celsius. „Wir frieren sie nicht ein, aber wir bringen sie quasi auf Nulltemperatur, um jegliche Oxidation zu blockieren. Im Prinzip machen wir also dasselbe wie bei Tee.“

Während nach diesem Schritt in Japan die Teeblätter durch Ofenhitze getrocknet werden, kann man Trauben nicht einfach backen. „Aber wir entstielen, um Bitterkeit zu vermeiden. Und am Ende quetschen wir die Trauben ganz vorsichtig, nur um sie zu öffnen und die Säfte herauszulassen, nicht um sie oxidieren zu lassen. So lassen wir sie für den Rosé mazerieren, unter Kohlendioxid.“ In speziellen Tanks lässt man den Pinot-noir-Most von unten zum Chardonnay-Most hinzuströmen, um erneut Kontakt mit Sauerstoff auszuschließen. „Der Chardonnay-Most bringt einen reduktiven Charakter mit – damit ist die Gefahr der Oxidation endgültig gebannt“, formuliert es Lécaillon. „Ab dann fermentiert der Rosé, wir greifen ihn nicht mehr an.“ Welche unerwünschten Aromen will der Kellermeister durch das Kühlen der Pinot-noir-Trauben eigentlich konkret vermeiden? „Gekochtes Obst.“

„Ob bei Matcha oder Rosé-Champagner – wenn wir Reinheit suchen, gilt es, die Oxidation zu stoppen.“

Die Parallelen zwischen Rosé und Tee sind Jean-Baptiste Lécaillon im Jahr 2005 das erste Mal aufgefallen, während eines Japan-Aufenthalts, bei dem es ihm eigentlich um Sake ging. „Ich dachte zuerst, die Infusion ist das Wichtige. Die Wassertemperatur, die Zeit und alle möglichen anderen Details, die wir beachten, wenn wir Matcha und anderen Tee zubereiten.“ Erst nach Jahren, in denen er auf seinen Japan-Reisen immer wieder mit Teekoryphäen redete, Plantagen und Produktionsstätten besuchte, begriff der Kellermeister, dass das Wichtige die Schritte davor sind. „Die Sache mit der Oxidation, das Erhalten der Reinheit. Wenn das passt, hat man schon neunzig Prozent des Jobs erledigt.“

Text
Anna Burghardt
Fotografie
Roederer / Nik van der Giesen
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