Gian Luca Mazzella
Sterne fallen nicht vom Himmel

Culinary and Pleasure

Gian Luca Mazzella möchte kein Star sein. Er ist ein Besessener. Sein gerade erschienener Jungfernwein Paterico 2019 wirkt wie vom Himmel gefallen, ist aber alles andere als das. Vielmehr ist er das Ergebnis einer lebenslangen Suche nach dem „grande vino contadino” – dem großen, bäuerlichen Wein. Die Geschichte eines gleichermaßen ungewöhnlichen wie außergewöhnlichen Weins.

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(Wein)

Der studierte Theologe und Philosoph Gian Luca Mazzella stammt väterlicherseits aus Kampanien, wo schon sein Großvater Weinbau betrieb. Schon während des Studiums der Philosophie und Theologie wurde der knapp Fünfzigjährige mit dem Weinvirus infiziert – einen eigenen Wein zu keltern, sollte aber noch Jahrzehnte dauern; unbewusst begann er dennoch schon sehr früh damit.

Sein Werdegang war und ist vom Wein geprägt. Bereits in jungen Jahren lernte er dank eines befreundeten Weinsammlers viele der größten und teuersten Weine der Welt kennen. Vor dreißig Jahren begann er, Erfahrungen in renommierten Weingütern in Frankreich, dann in Deutschland, im Piemont, in der Toskana und in der Region Venetien zu sammeln und war zunehmend für zahlreiche führende Weingüter Italiens als Berater im Hintergrund tätig.

Daneben arbeitete er als Weinjournalist und organisierte zahlreiche internationale Weinproben. Legendär seine Verkostung „100 Jahre Riesling“ mit Jancis Robinson im April 2008 auf Schloss Johannisberg, ebenso seine Vertikalverkostungen von Giacomo Conternos Barolo Riserva Monfortino oder den großen Weinen von Giacosa. Mit dem großen Gianfranco Soldera verband ihn nicht nur eine enge Freundschaft, sondern auch die Suche nach dem „grande vino contadino“, dem großen, bäuerlichen Wein. Nicht zuletzt das Erbe der ihm anvertrauten Erfahrungen und die Dankbarkeit gegenüber seinen Wegbegleiter:innen, haben in Mazzella den Wunsch reifen lassen, selbst Winzer zu werden.

Die Suche nach dem geeigneten Terroir führte Gian Luca zurück zu seinen Wurzeln nach Kampanien. Das Gebiet des Taurasi bietet durch seine Höhenlage (400 bis 700 Meter Seehöhe) und der robusten autochthonen Rebsorte Aglianico großes Zukunftspotenzial auch in Zeiten des Klimawandels. Die Tatsache, dass das Potential von Region und Rebsorte bisher kaum ausgeschöpft wurde, war eher Ansporn als Hürde. Mazzella bewirtschaftet aktuell insgesamt 3,6 Hektar sehr alter, hochgelegener Aglianico-Weingärten in der Gemeinde Paternopoli, in der Hügel- und Gebirgslandschaft Irpinia etwa 80 Kilometer östlich von Neapel.

Mazellas Vorstellung von einem idealen Weingarten berücksichtigt in hohem Maße das vegetativ-produktive Gleichgewicht des Weinbergs. Das bedeutet für ihn, das gesamte Ökosystem – oder noch mehr: die gesamte umliegende Gemeinschaft – zu respektieren und nicht auf die Weinreben hin zu optimieren. Ein Blick in die mit Blumen übersäten Weingärten sagt hier mehr als tausend Worte. Das Ergebnis ist ein extrem niedriger Traubenertrag pro Hektar, für Gian Luca ein zentraler Schlüssel zur Herstellung eines großen Weins. Mazzella erntet mit durchschnittlich elf Hektolitern pro Hektar nur einen Bruchteil der im Qualitätsweinbau üblichen Menge.

„Der Versuch, einen großen Wein herzustellen,
ist mit großen Risiken und hohen Kosten verbunden.
Und eine ziemliche Verrücktheit gehört auch dazu.”

„Für mich dreht sich alles um die Beere, die Reinheit der Beere und die Reife der Schale; alles andere ordne ich dem unter“, begründet Mazzella seine Herangehensweise. „Ich war immer davon überzeugt – und das habe ich schon vor 30 Jahren im Burgund gelernt – dass der Versuch, einen großen Wein herzustellen, mit großen Risiken und hohen Kosten verbunden ist; und eine ziemliche Verrücktheit gehört auch dazu.“

Nach der sehr späten Lese Mitte November werden die Trauben sorgfältigst selektioniert und gerebelt. Danach kommen die ganzen Beeren in Holzgärständer und Keramikamphoren, wo sie täglich mehrmals untergetaucht werden, während der ablaufende Saft rundgepumpt wird, sodass der Most circa drei Wochen spontan vergärt. Nach der Mazeration von 70 bis 120 Tagen läuft der Saft in einer Verktikalpresse nur durch das Eigengewicht ohne Druck („Zero Pressure“) ab. Eine schonendere Verarbeitung des hochwertigen Traubenmaterials ist kaum vorstellbar.

Unter der Herkunftsbezeichnung Taurasi D.O.C.G. als Riserva und der eingetragenen Marke „Paterico“ hat Gian Luca Mazzella im September 2023 seinen ersten Wein abgefüllt. Durch den extrem niedrigen Ertrag gibt es von diesem Premium Aglianico insgesamt lediglich 3.151 nummerierte Flaschen weltweit.

Für studierte Philosoph:innen und Theolog:innen ist Wein aber bei weitem mehr als nur ein Naturprodukt, sondern auch Gemeinschaft, eine Verbindung mit anderen, nicht die unrealistische individuelle Suche oder Leistung eines Einzelnen. So ist auch jedes Weingut eine kleine Gemeinschaft innerhalb der Gemeinschaft des Ortes, der Region. „Ein Dorf bedeutet, nicht allein zu sein und zu wissen, dass in all den Menschen, Pflanzen, Bäumen etwas Eigenes ist, auch, wenn man selbst nicht mehr da ist“, betont der Neowinzer die soziale und transzendentale Bedeutung, die Wein für ihn auch hat.

Möge Gian Luca Mazzella der Wunsch, kein Star zu sein, erfüllt bleiben und er uns noch viele Jahrgänge dieses so ehrlichen und fantastischen Weins bescheren. Dem Paterico wird als neuer, hell leuchtender Stern im Kosmos der Weine Italiens der Ruhm eines Stars nicht erspart bleiben, wie bereits viele begeisterte Stimmen der internationalen Weinszene erkennen lassen.

GIAN LUCA MAZZELLA BEVOR ER SICH AUF WEINHERSTELLUNG SPEZIALISIERT HAT, WAR ER ALS JOURNALIST UND BERATER IN UNTERSCHIEDLICHEN UNTERNEHMEN DER WEINBRANCHE TÄTIG

Verkostungsnotiz
Mazzella Paterico 2019

In der Nase dunkle, frische Waldbeeren und Eukalyptus erinnern zunächst an große Piemonteser. Am Gaumen eine lebhafte Säure, die Frucht wirkt noch etwas zurückhaltend, sicherlich der Jugend des Weines geschuldet. Dennoch ist eine ganz klare und pure Stilistik zu erkennen. Das Holz ist spürbar, aber nicht vordergründig. Trotz der Fülle – wir sind immerhin in Süditalien – wirkt der Wein in keiner Sekunde üppig. Wer Aglianico als eher rustikale Rebsorte kennt, wird von der begeisternden Frische und Finesse sowie dem moderaten Alkoholgehalt von 13,5 Prozent äußerst positiv überrascht sein. Schon jetzt wunderbar harmonisch und aus einem Guss, wie es nur große Weine sind!

Text
Clemens Riedl
Fotografie
Claudio Morelli
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