Sprudel ohne
Alkohol
Die Korken knallen, die Kohlensäure tanzt im Glas – und doch fließt kein Alkohol. Eine neue Generation von Sprudelgetränken, von Proxies über fermentierte Tees bis zu komplexen Cuvées lädt ein, das Ritual des Anstoßens neu zu erleben. Kreativ, moussierend, stets alkoholfrei. Denn es geht nicht immer um den Rausch, sondern um das Gefühl.
(Drinks)Die Folienkapsel aufschneiden, die Agraffe, den Drahtbügel, lockern und schlussendlich – immer ein erster kleiner Höhepunkt – den Korken ploppen lassen. Kurz den Vorboten des Perlagekonzerts, diesem zarten Prickeln der Bläschen, lauschen und einschenken. Die Nase ins Glas halten, es genießen, wie ungestüm man von der frisch freigelassenen Kohlensäure empfangen wird, noch einmal die Aufmerksamkeit auf das leise Getuschel der Bläschen lenken. Den ersten Schluck nehmen. Ganz so, wie man es zu festlichen Anlässen von Champagner kennt, von Crémant, Rieslingsekt, Franciacorta und anderen Schaumweinen. Bloß: Man muss keinen Alkohol konsumieren, um all das zu erleben.
Eine neue Generation an Sprudel ist auf dem Markt, und sie wächst rasant. Teilweise unter dem Begriff Proxies subsumiert, finden derzeit zahlreiche alkoholfreie Alternativen für Wein und Schaumwein den Weg in die Gastronomie und die persönlichen Vorratsregale. Alternativen, die nicht ausschließlich aus Trauben gemacht sind – wohlgemerkt: um entalkoholisierte Weine geht es hier nämlich nicht; diesen stellen Sommeliers und Sommelières allen technischen Entwicklungen zum Trotz größtenteils noch kein gutes Zeugnis aus. Weitaus spannender sind jene moussierenden Getränke in klassischen 0,75-Liter-Flaschen, die entweder auf fermentiertem Tee basieren oder als komplex aufgebaute Cuvées aus verschiedenen anderen Grundgetränken zu verstehen sind. Und für die eine enorme Vielzahl an Zutaten möglich ist – schließlich gibt es kaum Regeln, anders als in der strengen Weinbranche, wo etwa nur gewisse Rebsorten zugelassen sind.
Wege zur Dreidimensionalität
Viele dieser neuen Sprudel haben rare Premiumtees als Basis, die meist aus China oder Japan kommen (und gern mit komplizierten Namen wie Si Ji Chun aufwarten). Diese Tees werden mithilfe von Hefen oder Teepilzen alkoholfrei fermentiert oder es wird Kohlensäure zugesetzt. Dazu können Aromaten wie Zitronengras, Feigenblätter, Hibiskusblüten, getrocknete Erdbeeren oder Vanille kommen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Die ungewöhnlichen Zutatenkombinationen, die auf manchen Flaschen zu lesen sind (à la Sanddorn-Estragon-Marille), erinnern bisweilen an die zeitgenössische Patisserie. Tatsächlich denken Proxy-Produzent:innen eher wie ihre Kolleg:innen in Küchen und Bars als jene in den Weinkellern. Letztere können schließlich nicht einfach etwas Yuzuschale hinzufügen, wenn ein ätherischer Frischekick fehlt, oder Waldhonig, wenn es an herber Süße mangelt; in der Welt der Proxies geht das hingegen sehr wohl. Manchmal sorgt Eichenholz, in Form von Chips oder Fasskontakt, für eine gewisse Tanninstruktur, analog zum Wein, während Szechuanpfeffer, Ingwer, Chilis und andere Schärfespender den Gaumen zusätzlich zur Kohlensäure in Schwingung versetzen – wenn Alkohol fehlt, gilt es eben auf anderen Wegen, für die spezielle gefühlte Dreidimensionalität zu sorgen.
Einige Vorreiter in diesem neuen Getränkegenre kommen aus Kopenhagen: Copenhagen Sparkling Tea besteht seit 2017, die Sprudel aus bis zu 13 verschiedenen Tees mit zugesetzter Kohlensäure und einer geringfügigen Menge an Beigaben wie Zitronen- oder Traubensaft sind in zahlreichen Michelin-Sterne-Restaurants weltweit zu finden. Ebenfalls aus Kopenhagen kommt Muri, eine urbane „Blendery“ (analog zu Winery), die in Sachen Zutaten viele Wege abseits von Tee beschreitet: Die Getränke, stille und prickelnde, tragen Namen wie „Passing Clouds“ oder „Yamilé“ und sind komplexe Assemblagen aus Grundgetränken wie Quittenkefir, Tomatenwasser oder alkoholfreiem Stachelbeerwein mit einer Vielzahl an weiteren Protagonisten, bisweilen aus eigener Wildsammlung. Manche der Zutaten werden hausintern noch einmal abgewandelt, sodass dem Muri-Team ein noch größeres Spektrum für seine neuartigen Cuvées zur Verfügung steht: So erhalten etwa Vanille und Lavendel durch einen Aufenthalt im Räucherofen eine neue aromatische Identität. Jüngster Streich von Muri: der „Koji Rice Series 2“, ein moussierender alkoholfreier Reiswein mit Shisokraut und Kamille. In diesem Getränk sorgen Kojisporen, wie sie auch bei Miso oder Sojasoße im Spiel sind, bei der Fermentation in aromatischer Hinsicht für ein je ne sais quoi.
Villbrygg aus Norwegen, bereits seit 2018 auf dem Markt, will die nordische Pflanzenwelt in Form von alkoholfreiem Sprudel, „Sparkling Botanical Drinks“, präsentieren: Mädesüß kommt hierbei ebenso zum Einsatz wie Weidenröschen, Preiselbeeren oder Birkenblätter.
Unmissverständlich als Alternative zu hochkarätigem Schaumwein positioniert sich indes das österreichische Label Combuchont, hinter dem der Sternekoch Klemens Schraml steckt: Auf Basis von Tees der Spitzenklasse, etwa Gyokuro Asahi, entstehen Sprudel, die in schwere Flaschen gefüllt und mit einer edlen Aufmachung präsentiert werden. Und hier vergisst man auch den Bezug auf die Weinwelt nicht: Die Kohlensäure stammt nämlich aus der Gärung des renommierten niederösterreichischen Weinguts Bründlmayer.
Begleitung ja, Alkohol nein
In der ambitionierten Gastronomie sind all diese aufwendig produzierten alkoholfreien Alternativen zu Wein und Schaumwein (die durchaus ihren Preis haben) längst Teil des Getränkeangebots. Kaum ein Sternerestaurant, das nicht eine alkoholfreie Getränkebegleitung zum Menü anbietet, in der neben selbst fabrizierten Säften, Kombuchas oder Teemischgetränken meist auch Proxies oder Sparkling Teas zum Einsatz kommen. Zwar sind viele Sommelières und Sommeliers noch skeptisch – ihr Kernthema ist schließlich in den allermeisten Fällen Wein; unbestritten ist jedoch, dass ihnen mit der Vielfalt an komplexen alkoholfreien Getränken ein wachsendes Spektrum für ihre Pairings zur Verfügung steht. Wer etwa eine flüssige Begleitung zu einem fordernden Dessert mit Lakritze, Rose und Bergamotte sucht, findet womöglich im Segment der Sparkling Teas eher etwas Passendes als im Weinkeller. Auch für Lai:innen ist die enorme alkoholfreie Auswahl horizonterweiternd. Aus welchem Grund auch immer man gerade keinen Alkohol trinken will – noch nie war nüchternes Anstoßen so genussvoll.