Croissants und Cerealien,
eine New Yorker Liebesgeschichte

Culinary and Pleasure

Wenn Sie morgens einen Spaziergang die Montague Street entlang in Richtung Brooklyn Heights Promenade machen, fällt Ihnen auf halbem Weg eine lange Schlange auf. Sie bildet sich normalerweise in den frühen Morgenstunden und das schon seit mehr als zwei Jahren.

PETITE CROISSANT CÉRÉALE
Diese Mini-Croissant-Cerealien haben das gleiche Maß an Hingabe wie ihre vollformatigen Pendants. Jedes Croissant wird von Hand gerollt, mit französischer Butter hergestellt und dehydriert, und im Anschluss mit Zimtsirup überzogen, damit es knusprig ist

(Frühstück)

Wenn Sie eine Leidenschaft fürs Essen haben und in den letzten 24 Monaten nicht auf Digital-Entzug waren, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie den Weg zur 115 Montague Street nicht zufällig gefunden haben, sondern wegen der herrlichen Vorstellung, Dutzende handgerollte Minicroissants aus einer Müslischale zu löffeln. Der Laden mit deckenhohen Fenstern und einem Kronleuchter ist die Heimat von niemand anderem als der französischen Boulangerie LAppartement 4F, dem Erfinder des Petite Croissant Céréale, das im Internet für Furore sorgte.

Die Geschichte hinter der beliebten Cerealie, die aus entzückenden, blättrigen Minicroissants mit leichtem Zimtgeschmack besteht, kann auf zwei verschiedene Arten erzählt werden.

Die erste ist ein französisches Märchen, das in New York spielt. Alles begann, als sich der Franzose Gautier Coiffard und die angehende Schulkrankenschwester Ashley Breest ineinander verliebten. Coiffard sehnte sich nach der französischen Boulangerie aus seiner Heimatstadt Grenoble und begann 2019 damit, in der eigenen Wohnung des Paares in Cobble Hill kleine Mengen langsam fermentierten Sauerteigbrots und Gebäcks herzustellen – es ist nicht schwer, die Nummer ihrer Wohnung zu erraten. Man kann sich nur vorstellen, welch unwiderstehlicher Duft von frisch gebackenen Baguettes und Pain au Chocolat die Gäste damals an ihrer Tür begrüßt haben muss. Während sich der autodidaktische Bäcker darauf konzentrierte, das perfekte Croissant-Rezept zu meistern, erkannte Breest, dass ihren New Yorker Mitbürger:innen authentische französische Backwaren fehlten. Sie verkauften eine erste Ladung von Gautiers Kreationen an Breests Kolleg:innen in einer Bank in Long Island, doch während der Pandemie wurde Coiffards Leidenschaft zu einem ernsthaften Nebenerwerb.

Um Geld für ihre Hochzeit in Frankreich zu sammeln, postete das Paar im Juni 2020 sein erstes Menü zum Liefern und Abholen in den sozialen Medien. Die darauffolgende große Nachfrage veranlasste sie, eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne zu starten, um die Eröffnung einer eigenen Bäckerei außerhalb ihrer Wohnung zu finanzieren. Die beliebteste Belohnung der Kampagne für die Unterstützer:innen war – Sie ahnen es schon – ihr handgemachtes Petite Croissant Céréale.

Die andere Geschichte handelt von einem originellen handgemachten Produkt, das viral gegangen ist. Auf Instagram erklärt Ashley Coiffard, dass sie ihren Partner zunächst anflehen musste, eine Miniaturversion seiner Croissants zu backen, ein mühsames und zeitaufwendiges Unterfangen. Ein paar Monate später löste die Minicroissant-Cerealie auf TikTok Staunen und Empörung aus, aufgrund ihres Preises – der ursprüngliche Betrag der Kickstarter-Belohnung. „Minicroissant-Cerealie kostet in Brooklyn 50 Dollar pro Packung – aber ist das Frühstück im ‚Marie Antoinette-Stil das wert?, lautete eine Schlagzeile in der New York Post. Doch Kund:innen nahmen den luxuriösen Frühstücksleckerbissen an, und die Medienpräsenz bewirkte, dass die Nachfrage ein Eigenleben entwickelte. Das Crowdfunding von LAppartement 4F brachte mehr als 60.000 Dollar ein, die es den Coiffards zusammen mit Krediten ermöglichten, im Mai 2022 eine richtige Bäckerei in Brooklyn Heights zu eröffnen. Seitdem stehen die Leute schon eine halbe Stunde vor Öffnung der Bäckerei Schlange, um eine der begehrten Boxen in minimalistischem Weiß und Schwarz zu ergattern, die es mittlerweile auch in kleineren Portionen zum halben Preis gibt. An den meisten Tagen sind sie innerhalb von zehn Minuten nach Öffnung um acht Uhr ausverkauft.

Die limitierten Mengen des Minicroissants sind weniger ein Marketingtrick als vielmehr eine Folge des komplexen Produktionsprozesses. Genau wie die normalen Croissants von LApparement 4F besteht die Miniversion aus Ziehteig mit französischer Butter, der sehr dünn ausgerollt und in kleine Dreiecke geschnitten wird. Jedes Stück wird dann von Hand ausgerollt, nach einer Ruhezeit gebacken, für Knusprigkeit dehydriert und mit Zimtsirup überzogen. Da die Herstellung eines Minicroissants etwa eine Minute dauert, beträgt das tägliche Produktionsvolumen weniger als zehn Cerealien-Packungen pro Tag. Ohne Online-Shop oder Vorbestellungssystem besteht die einzige Möglichkeit, an die virale Cerealie zu kommen, darin, sich gleich morgens in die Schlange zu stellen.

Im letzten Jahrzehnt war New York die Brutstätte vieler Croissant-Hypes – von Dominique Ansels Cronut bis zu Lafayette Bakerys ringförmigem, mit Creme gefülltem Croissant Suprême. Über die sozialen Medien schwappten internationale Trends wie der Cruffin aus Australien, Frankreichs Le Crookie oder eingetauchte Flat Croissants aus Südkorea herüber und wurden von lokalen Bäcker:innen begeistert übernommen. Ist die Croissant-Cerealie also nur ein weiterer Gebäcktrend? Was LAppartement 4Fs Petite Croissant Céréale von den oben genannten Varianten unterscheidet, ist, dass es der Form, der blättrig-geschichteten Textur und dem nur leicht süßen Geschmack des Originals treu bleibt. Es ist vor allem ein Spiel mit der Größe, und zwar ein charmantes. Letztlich ist sogar das französische Croissant selbst eine Adaption eines anderen beliebten Frühstücksgebäcks: des Wiener Kipferls aus Österreich.

Anfang 2024 hat LAppartement 4F angekündigt, dass sie einen zweiten Standort in West Village eröffnen und ihre Croissants in normaler und Cerealiengröße vor Ort in Manhattan backen werden. Die neue Bäckerei wird sich in der 119 West 10th Street befinden und höchstwahrscheinlich dasselbe Merkmal aufweisen wie die ursprüngliche – die lange Warteschlange vor der Tür.

Text
Sarah Satt
Fotografie
Panache Bklyn
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