Antwerpens Kunst,
Mode leise zu denken

(Maison Ë zu Besuch) „Manchmal nennen wir Antwerpen die Stadt, die niemals aufwacht‘, weil hier eine gewisse Langsamkeit herrscht – aber natürlich ist dieses Sprichwort nicht wahr“, scherzt Ilse Cornelissens, Mitbegründerin von Graanmarkt 13, einem der begehrtesten Concept Stores der Stadt. „Es passiert hier viel, ständig werden neue, spannende Adressen eröffnet – aber selbst in Zeiten des Wandels fühlt es sich hier oft ruhig und gemächlich an, fast wie einem Dorf.“ Cornelissens kann aus erster Hand die Anziehungskraft der zweitgrößten belgischen Stadt bestätigen. Sie zog mit ihrem Ehemann Tim Van Geloven aus der größeren (und weitaus bekannteren) niederländischen Hauptstadt Amsterdam hierher und gründete ihr Geschäft, Graanmarkt 13.

Graanmarkt 13 selbst verkörpert den charmanten, entspannten Charme Antwerpens. Der Concept Store ist in einem großzügigen Stadthaus aus dem 19. Jahrhundert untergebracht, das direkt an einem malerischen, mit Kopfstein gepflasterten Platz liegt. Das durchdachte Sortiment an geschmackvollen, internationalen Marken wie Perfumer H aus London oder Auralee aus Japan findet in Räumen Platz, die von keinem Geringeren als dem weltweit bekannten Designer und Architekten – Vincent Van Duysen – gestaltet wurden. Was auf dem Papier zunächst ziemlich extravagant klingt.

Betritt man jedoch den Store an einem kühlen Frühlingsabend, während die Sonne langsam untergeht, findet man einen Ort vor, der entspannt, einladend und völlig unprätentiös ist. Die Architektur ist zwar raffiniert, versucht aber nicht, die Spuren des jahrhundertealten Gebäudes zu überdecken. Stattdessen macht sie sich diese zu eigen und leiht dem luxuriösen Sortiment ihren historischen Charakter. Auf den Kleiderstangen mischen sich internationale Designermode mit einer beeindruckenden Auswahl belgischer Marken. „Ich glaube, viele wissen das nicht, aber mehr als die Hälfte unserer Marken sind belgisch: angefangen bei Sofie D’Hoore, Bernadette oder Michaël Verheyden bis hin zu Caroline Bosmans. Die Liste ist lang“, erzählt Cornelissens.

Design, das die Zeit überdauert

Was die Stadt im Allgemeinen betrifft, erklärt Cornelissens, so wird hier allerorts eine Kultur der Wertschätzung für gutes, schönes Designs zelebriert, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. „Ich glaube, viele Antwerpener Talente lernen von den Generationen vor ihnen. Diese tief verwurzelte Wertschätzung von Qualität kommt daher, dass wir hier aufgewachsen sind“, sagt sie. „So war es auch bei uns – wir haben hier viel über Qualität gelernt, vor allem von Leuten wie Vincent Van Duysen. Wären wir in Amsterdam geblieben, hätten wir diese Art von Bildung nie erhalten.“

Van Duysen mag einer der bekanntesten Namen in Antwerpener Designkosmos sein – doch er ist längst nicht der einzige. Schließlich ist dies auch die Heimat des legendären Modedesigners Dries Van Noten und des berühmten Kollektivs der Antwerp Six, jener Gruppe von Avantgarde-Designern, die aus der renommierten Königlichen Akademie der Schönen Künste hervorging.

Geschichte und Zukunft verschmelzen

Selbst die moderneren Unternehmen hier lassen sich von der geschichtsträchtigen Vergangenheit Antwerpens inspirieren. Elliot & Ostrich ist eine Schmuckmarke mit Terminvereinbarung, die 2018 von Jennifer Elliot gegründet wurde und der sich 2020 ihre Geschäftspartnerin Sylvie Arts anschloss.

„Unsere Vision besteht nicht darin, einen Hype zu erzeugen“, erklärt Elliot über ihre Auffassung von Kundenberatung, die in einem sanft getönten, warm gestalteten Raum stattfindet, der diskret in einem Geschäftsgebäude versteckt liegt. „Was die Leute über unseren Stil sagen, ist, dass er zeitlos und dennoch unverwechselbar ist“, fügt sie über die Kollektionen von Elliot & Ostrich hinzu, die lokales Schmuckhandwerk mit zeitgenössischer Eleganz verbinden. Stücke wie die Maasai-Collection-Halsketten sind inspiriert von ihrem afrikanischen Erbe sowie der einzigartigen Modekultur Antwerpens. Diese Serie von Stacking-Halsketten integriert Natursteine, die jeweils aufgrund ihrer besonderen Energie und heilenden Eigenschaften ausgewählt werden – eine Hommage an traditionellen Maasai-Schmuck. Sie ergänzt, dass ihre Designphilosophie sich nahtlos mit der Energie der Stadt verbindet. „Antwerpen ist voller unglaublich stilvoller Menschen, und unsere Designs spiegeln diesen Stil in gewisser Weise wider – klassisch, aber mit einer einzigartigen Note.“

Slow Fashion seit 1884

Wir beenden unsere Reise mit dem Besuch in einem Geschäft, das all das verkörpert, was Antwerpen so besonders macht: die traditionsreiche Handschuhmanufaktur Ganterie Boon. Gegründet im Jahr 1884, ist das Unternehmen bis heute in Familienbesitz. Aktuell wird es von Erik Van Heuven und seiner Tochter Roxanne Van Heuven geführt, die im vergangenen September eingestiegen ist und nun auf ihre erste erfolgreiche Wintersaison zurückblickt. Erik bringt seine langjährige Erfahrung – unter anderem als CEO der belgischen Kaufhauskette Galeria INNO und in führenden Positionen bei Karstadt Kompakt – ein, um Roxanne dabei zu unterstützen, das historische Erbe des Geschäfts sowie den Fokus auf handgefertigte Qualität zu bewahren und gleichzeitig frischen Wind in das Unternehmen zu bringen. Heute befindet sich Ganterie Boon in einem wunderschön erhaltenen Art-Déco-Gebäude aus dem Jahr 1929, das einst Teil der Werkstatt des Unternehmens war. Der Laden ist eine wahre Zeitkapsel: Klassische Handschuhboxen, originale Verkaufstresen, Schränke und Stühle erzeugen ein besonderes, sehr persönliches Einkaufsambiente. „Die Leute scherzen manchmal, es sei wie ein Harry-Potter-Laden, und kommen herein, um nach einem Zauberstab zu fragen“, erzählt Roxanne schmunzelnd und zeigt dabei edle Handschuhe aus Lammleder, Pekari (südamerikanisches Wildschweinleder), Hirschleder und Mouton retourné (gewendetes Lammfell). Hier findet man hochwertige Handschuhe für Damen und Herren, gefertigt in Europa. „Viele Kund:innen kommen aus Tradition hierher – sie wissen, dass die Qualität außergewöhnlich ist, weil bereits frühere Generationen bei uns eingekauft haben.“

Das Geschäft wird nicht nur von Einheimischen besucht, sondern auch von Reisenden, die hierher pilgern, um die hochwertigen Waren zu erwerben. „Wir sind das älteste Modegeschäft in Antwerpen“, sagt Erik Van Heuven. „Aber wir ziehen jeden Tag neue Kundschaft aus Asien, Europa und den USA an.“ Unter der neuen Leitung hat das Geschäft vor kurzem ein Rebranding erfahren, wobei die außergewöhnliche Vergangenheit im Erscheinungsbild ebenso berücksichtigt wurde wie die Standards moderner Luxusmarken. Dennoch ist der Service persönlich und selbst bei der Anprobe der feinsten Lederstücke bleibt die Stimmung entspannt. „Wenn wir dieses Geschäft auf 20 Städte in der ganzen Welt ausdehnen würden, würde es nicht mehr funktionieren“, erklärt Erik Van Heuven. „Dieser Laden ist ein kleines Wahrzeichen Antwerpens und die Leute fragen schon mal, wie man nur mit Handschuhen Geld verdienen kann – aber das Geheimnis des Erfolgs liegt in der Bedächtigkeit. Es ist ein langsamer, sehr ursprünglicher Einzelhandel. Wir ändern nicht die DNA dessen, was dieses Geschäft seit über 100 Jahren erfolgreich macht.“

Van Heuvens Haltung spiegelt das Ethos des maßvollen, bewussten Wachstums hier in Antwerpen wider. Erfolg wird hier nicht durch schnelle Expansion oder unaufhörliche Innovation definiert, sondern durch Geduld, Authentizität und die Freude daran, Dinge gut zu machen. Wie sich herausstellt, trägt dies sehr zur Attraktivität der Stadt bei – ein Ort, an dem man das gut Gemachte auf sehr entspannte Weise genießen kann.

Dries Van Noten
Unter der kreativen Leitung des belgischen Designers Julian Klausner werden die feinsten Kleidungsstücke der Marke in einem historischen Gebäude in Antwerpen präsentiert, in dem Stil und Erbe zueinanderfinden. (driesvannoten.com)

Ganterie Boon
Das seit 1884 familiengeführte Unternehmen bietet in einem charmanten Art-déco-Gebäude luxuriöse Handschuhe aus Lammfell und Pekari an. Ganterie Boon hält die Traditionen der fachmännischen Manufaktur aufrecht; die charakteristischen Stücke werden zur Gänze in Europa hergestellt.

La Collection 
Das Antwerpener Flaggschiff von La Collection, das von Florence Cools und Artur Tadevosian gegründet und entworfen wurde, vereint Kunst, Literatur sowie Vintage-Möbel. Es spiegelt die Hingabe der Marke zu maßgeschneidertem Design und zeitloser Eleganz in ihren Prêt-à-Porter-Kollektionen. 

Graanmarkt 13
Das Stadthaus aus dem 19. Jahrhundert, in dem belgisches und internationales Design aufeinandertreffen, empfängt seine Besucher:innen mit elegantem Komfort. Eine geschmackvolle, entspannte Atmosphäre, in der man sorgsam kuratierte Kollektionen bestaunen kann.

Elliot & Ostrich (Schmuck)
Die von Jennifer Elliot und Sylvie Arts gegründete Marke hat sich auf maßgeschneiderten Schmuck aus 18-karätigem Gold spezialisiert, der in Antwerpen handgefertigt wird. Ihr privates Atelier, The Nest, bietet persönliche Beratungen nach Vereinbarung an. Bei diesen kreiert die Kundschaft unter Anleitung eigene Stücke, die ihre eigenen Geschichten widerspiegeln. Die Marke legt Wert auf eine ethische Rohstoffbeschaffung und arbeitet ausschließlich mit Edelsteinen von höchster Qualität und natürlichen Diamanten.