Guide Michelin
Österreichs Gastronomie vor den Vorhang

Culinary and Pleasure

Die Michelin-Sterne als wichtiger Wegweiser sollen reisende Gourmets nach Österreich locken – die Rückkehr des Guide Michelin wird daher durch öffentliche Gelder unterstützt. Maison Ë stellt vier ganz unterschiedliche Restaurants vor, die internationale Bekanntheit verdienen.

JOLA – Veganes Fine Dining auf höchstem Niveau

(Gastronomie) Eine Diskrepanz: Die Dichte an guten Restaurants auch abseits der Städte ist in Österreich bemerkenswert, und dennoch schien das Land bisher auf der internationalen Landkarte für Gourmetadressen mit nur wenigen Namen auf. Der Guide Michelin hatte sich nach einigen Jahren des Sterneverteilens 2009 wieder aus Österreich zurückgezogen und lediglich die Städte Wien und Salzburg in der (mittlerweile eingestellten) Ausgabe „Main Cities of Europe“ bewertet. Seither agieren zahlreiche Restaurants mit Sternpotenzial außerhalb des Radars internationaler Gäste, vom Burgenland im pannonisch geprägten Osten bis nach Vorarlberg im alpinen Westen. 2025 soll sich das ändern: Der Guide Michelin kehrt zurück, zum Großteil finanziert aus öffentlichen Geldern – was die Unternehmer:innen hinter anderen Restaurantführern durchaus erzürnt.

Zwar gibt es mittlerweile zahlreiche kontinentübergreifende Best-of-Listen, die den Weg zu empfehlenswerten Lokalen weisen, dennoch orientieren sich viele Gourmets auf ihren Reisen am Guide Michelin mit seinen bekannten Sternen, den 2020 ins Leben gerufenen grünen Sternen (für Nachhaltigkeit – eine in der Branche durchaus umstrittene Auszeichnung, weil die Kriterien unklar sind) sowie den „Bibs, die auf ein besonders gastfreundliches Preis-Leistungs-Verhältnis bei hochwertiger Küche hinweisen.

Maison Ë stellt anlässlich des Österreich-Comebacks vier Restaurants vor, die internationale Aufmerksamkeit verdienen: Das JOLA in der Wiener Innenstadt ist eine der weltweit raren Adressen für veganes Fine-Dining auf höchstem Niveau. Das Doubek, ebenfalls in Wien, bietet vielgängige Menüs mit Fisch- und Meeresfrüchtefokus aus einer aufwendig installierten Feuerküche. Die Forelle am hochgelegenen Kärntner Weißensee stellt seit vielen Jahren den See und die ihn umgebende Landschaft in den Mittelpunkt, und am Rote Wand Chefs Table am Arlberg erlebt man eine kosmopolitisch geprägte Küche mit alpinen Zutaten im Ambiente einer jahrhundertealten Dorfschule.

JOLA

Auf der Homepage verraten Jonathan Wittenbrink und Larissa Andres es nicht: In ihrem 2022 eröffneten JOLA verzichten sie nicht nur auf Fisch und Fleisch, sondern auf überhaupt alle tierischen Produkte. Dass ein Fine-Dining-Überraschungsmenü aus rund fünfzehn Gängen auch vegan sein kann, ist für das junge Paar – er in der Küche, sie im Service und für Wein zuständig – ganz normal. Die beiden, 1991 bzw. 1998 geboren, haben sich im vegetarischen Sternerestaurant Tian kennen- und lieben gelernt, demnächst sperren sie mit der Hilfe eines Investors ein weiteres veganes Lokal in der Wiener Innenstadt auf.

Schon die ersten Minigänge, die Wittenbrink aus der einsehbaren, engen Küche des JOLA schickt, haben es in sich: ein Becherchen mit einer Bisque etwa, die man blind in die Kategorie Krustentier einordnen würde – wie geht das? Wittenbrink bereitet sie genauso zu wie die Hummerbisque aus seiner Lehrzeit, mit Safran, Cognac, Fenchel und so weiter; nur den Hummer ersetzt er durch Kürbis und Mais. Eine hochklassige Gaumentäuschung. Nicht minder souverän sind Happen wie eine Topinamburkrokette, ein Kürbistartelette mit gereifter Sojasauce oder eine winzige Tostada mit Flower Sprouts und schwarzem Knoblauch. Ein Gericht namens Tafelspitz enthält mitnichten das berühmte gekochte Rindfleisch der Wiener Küche, vielmehr entpuppt es sich als sensibel arrangiertes Wurzelgemüse mit Semmelkren-Zitaten und einem gedämpften Kren-Bun. Bissfeste Agnolotti mit Winterblattgemüse und als Hauptgang eine wundersam geschmorte Tranche von einem Pilz namens Igelstachelbart – kein Wunder, dass das vegane JOLA bestens gebucht ist.

DOUBEK

Auch hinter dem Restaurant Doubek, im Herbst 2023 im beschaulichen Wiener Bezirk Josefstadt eröffnet, steckt ein junges Unternehmerpaar: der Koch Stefan Doubek und Nora Pein, beide mit Erfahrung in der Sternegastronomie und Hierarchiebewusstsein ausgestattet. Für Wein ist sie zuständig, der Weinkeller kann sich sehen lassen.

Der Wunsch, in einem innerstädtischen Altbau-Zinshaus eine Feuerküche zu installieren, hat nicht nur die Wiener Behörden ordentlich herausgefordert; die Umbauarbeiten, bei denen auch der Hafner eine zentrale Rolle spielte, waren langwierig und nervenzehrend.

Stefan Doubek hat schon lange ein Faible für Feuer – und für bestes Meeresgetier, das er sowohl hyperfrisch als auch dry-aged einsetzt. Die rohen Schwänze prächtiger Carabineros, roter Riesengarnelen, behandelt er nur ganz zart mit glühender Kohle, die gerösteten Köpfe schickt er durch eine Entenpresse, um sie in ein tizianrotes Elixier zu verwandeln. Schulterfleisch der Königskrabbe hat im knapp zwanzig Gänge langen Menü im Doubek ebenso seinen Auftritt wie Zwischenflossenfleisch eines gereiften Steinbutts. Begleitelemente und -aromen sind häufig asiatisch geprägt, ob es nun die XO-Sauce mit Röstzwiebeln zur Jakobsmuschel ist, der Szechuanpfeffer zur Ente oder die japanische Reibe samt winzigem Bambusbesen, mit dem Kaffirlimettenstaub auf ein Zitrusgranité gestäubt wird. Apropos: Ein Teil der zig verschiedenen Zitrusfrüchte, die im Doubek zum Einsatz kommen, stammt von der privaten Terrasse des Gastronomenpaars.

Ein Teil der zig verschiedenen Zitrusfrüchte, die im Doubek zum Einsatz kommen, stammt von der privaten Terrasse des Gastronomenpaars.

DOUBEK – Exquisite Fisch- und Meeresfrüchteküche aus der Feuerküche

ROTE WAND
CHEF’S TABLE

Dass sein Chefs Table von internationalen Topadressen inspiriert ist, hat Josef „Joschi“ Walch nie verschwiegen: Sowohl The Chef’s Table at Brooklyn Fare in New York als auch das Frantzén in Stockholm, das generell zahlreiche Restaurants geprägt hat, haben konzeptuell ihre Spuren im Dorf Zug bei Lech am Arlberg hinterlassen.

Im winzigen Schulhaus von 1780, direkt neben einem Kirchlein und seinem familiengeführten Hotel Rote Wand gelegen, hat Walch eine offene Küche mit wenigen, zu einem L angeordneten Sitzplätzen geschaffen. Bezahlt wird wie bei Konzert- und anderen Tickets vorab, auch das hat er von anderswo nach Österreich gebracht. Küchenchef des Rote Wand Chefs Table ist Julian Stieger, der aus dem Kopenhagener Dreisterner Geranium ins Hochgebirge gelockt werden konnte. Nach dem Aperitif mit den ersten Happen wie einem Choux mit Aal, Entenleber und Heidelbeere stellt Stieger die Speisekarte vor: in Form der unverarbeiteten Hauptzutaten. Danach geht es ein Stockwerk höher, wo die Gäste bei den letzten Handgriffen des Küchenteams zusehen können. Viele Elemente sind elegant-rural, etwa ein „Blutwurstbrot“ oder ein Pre-Dessert mit Bienenwachs, salzigem Milchschaum, weißen Rüben und Blütenpollen – Weltgewandtheit bei gleichzeitiger alpiner Bodenhaftung. 

DIE FORELLE

Ein Bergsee, der auf rund tausend Metern Seehöhe mit karibisch-türkisfarbenem Wasser betört – das ist der Weißensee im Westen Kärntens. Direkt an diesem See ist das Hotel Die Forelle der Familie Müller zu finden, ein Ort, der Nachhaltigkeit und Wertschätzung vorlebt, von der Energiegewinnung bis zum Wareneinsatz – Stichwort Zero Waste.

Hannes Müller führt das Haus gemeinsam mit seiner Frau Monika, er ist als Küchenchef für die „Berg.See.Küche“ verantwortlich, wurde 2024 vom österreichischen Gault&Millau zum „Koch des Jahres“ gekürt. Wildfang aus dem See, etwa Seeforelle oder Karpfen von Sashimi-Qualität, steht hier ebenso im Fokus wie alte lokale Getreidesorten und Wildpflanzen wie Giersch und Hopfenspargel; Müller vertieft sich seit Jahren in deren ungewöhnliche Würzkraft. Die Zutaten bezieht man so weit wie nur möglich direkt von Produzent:innen rund um den Weißensee, Zwischenhändler:innen werden bewusst außen vor gelassen. Und sie werden zur Gänze verarbeitet, werden nicht zuletzt nach alten Methoden haltbar gemacht. „Erntesaison ist bei uns auch im Winter, heißt es hier, wenn die vielen Einmachgläser geöffnet werden.

TEXT
Anna Burghardt
Fotografie
Stefan Fürtbauer / Ingo Pertramer
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